piwik no script img

Übergangsregierung für SudanNur ein Deal der Eliten?

Sudans Demokratiebewegung, die gegen die Generäle demonstrierte, sieht das neue Abkommen mit dem Militär skeptisch. Andere hoffen nun auf Stabilität.

Khartum am 3. Dezember: Protest gegen das Rahmenabkommen für Sudan vor der UN-Vertretung Foto: Ebrahim Hamid/afp

Berlin taz | Das neue Abkommen zwischen Sudans Oppositionskoalition „Kräfte für Freiheit und Wandel“ (FFC) und dem herrschenden Militär ist nicht das erste, das eine Machtteilung zwischen Militär und Zi­vi­lis­t:in­nen in Sudan einzurichten versucht. 2019, nach dem Sturz des damaligen Diktators Omar al-Bashir durch das Militär nach Massenprotesten, wurde ein erstes solches Abkommen geschlossen.

2021 putschte das Militär erneut, kurz bevor es die Macht vollständig an eine Zivilregierung hätte abgeben sollen, und stellte den 2019 berufenen zivilen Premierminister Abdallah Hamdok unter Hausarrest. Wenig später gab es eine neue Übereinkunft zwischen Hamdok und dem Militär, doch die Ablehnung seitens der Protestbewegung auf der Straße war so stark, dass Hamdok nach kurzer Zeit zurücktrat.

Seitdem hat sich die Lage in Sudan dramatisch verschlechtert: Seit über einem Jahr gibt es keine Regierung. Die rasende Inflation hat viele Menschen in Hunger und Armut gestürzt. Ethnisch-politische Auseinandersetzungen in vielen Landesteilen forderten Hunderte Tote und Tausende Geflüchtete.

Es fällt daher vielen Menschen schwer zu glauben, dass mit dem dritten Abkommen diesmal alles anders wird. Im August hatte die Oppositionskoalition FFC noch erklärt, Verhandlungen mit dem Militär abzulehnen und sich mit den zivilen Widerstandskomitees, die regelmäßig Demonstrationen in Sudans Hauptstadt Khartum und anderen Städten gegen die Militärherrschaft organisieren, in Verbindung zu setzen. Nun änderten sie ihre Position rasch. Die neue Einigung mit dem Militär entstand, ohne die Zivilbevölkerung miteinzubeziehen oder Verhandlungsprozesse transparent zu machen.

Dieses Abkommen ist nicht für uns, die diese Revolution gemacht haben

Protestveteran in Sudan

Politikanalytikerin Kholood Khair nennt das Abkommen daher „einen weiteren Deal der Eliten“. Die jungen Menschen, die noch immer wöchentlich auf die Straße gehen, fühlen sich betrogen. Noch immer erfahren sie täglich Gewalt und Repression durch die Sicherheitskräfte. Insgesamt hat die Zahl der Toten bei den Protesten zwar etwas abgenommen, die Brutalität der Sicherheitskräfte jedoch nicht. Es kommt zu Verhaftungen, Festgenommene werden geschlagen und gefoltert, Protestierende mit Geländewagen überfahren.

Berichten von Ärz­t:in­nen zufolge wird das Wasser der Wasserwerfer mit Bakterien verseucht, die Durchfallerkrankungen auslösen. Die Tränengaswerfer schießen auch Glassplitter und Nägel. Am 25. November erlag der Demonstrant Mohamed Nader einer Kopfverletzung durch einen Stein, der aus einem Gewehr abgefeuert wurde und ihm den Schädel durchbohrte. In Anbetracht solcher Grausamkeiten fühlen die Protestierenden ihren Kampf um Freiheit von der Politik verraten. Sie sind am Tag der Unterzeichnung wieder auf die Straße gegangen.

Insgesamt folgen die lokalen Graswurzelorganisationen, die seit 2019 den Widerstand gegen die Militärherrschaft in Sudan organisieren, nach wie vor dem Slogan der „drei Neins“: keine Verhandlungen, keine Partnerschaft, keine Legitimierung des Putschregimes. Sie folgen weiterhin ihrem „Revolutionsplan“ mit regelmäßigen Demonstrationen. Ein Mitglied der Komitees erklärt: „Die Politiker der FFC reden die ganze Zeit davon, dass wir uns gegen das Militär vereinigen sollen. Aber wenn wir unsere Meinung sagen, sagen sie, dass wir keine Ahnung haben, zu jung sind und Politik nicht verstehen.“

Viele junge Menschen haben das Gefühl, nicht gehört zu werden und nicht ernst genommen zu werden. Dieses Gefühl ist nicht ganz unberechtigt. Mitglieder der FFC beschreiben die Komitees häufig als „Wachhunde“, deren Aufgabe es sei, politische Prozesse zu beobachten und Widerspruch durch Straßenproteste auszudrücken. Von den politischen Verhandlungen sind sie jedoch ausgeschlossen.

Im Oktober veröffentlichten die Komitees eine neue Charta, in der sie ihre politischen Forderungen darlegten: Aufbau eines demokratischen Staates, Gerechtigkeit für die Familien der Getöteten, Verantwortungsübernahme durch den Sicherheitsapparat und damit keine Immunität für die Täter. Sie fordern außerdem eine reine Zivilregierung, keine Machtteilung mit dem Militär. Diese Haltung wird von Po­li­ti­ke­r:in­nen der FFC als „radikal“ bezeichnet, als träumerische Forderung, die in der Realität nicht umgesetzt werden kann. Auch sie sprechen von Gerechtigkeit, lassen aber offen, wie diese aussehen soll, wenn die Gewalttäter erneut mit in der Regierung sitzen.

Die Re­vo­lu­tio­nä­r:in­nen halten das Abkommen für ein „soft landing“ und für nicht revolutionär. Für­spre­che­r:in­nen des Abkommens erhoffen sich mehr Stabilität, Sicherheit und einen Ausweg aus der ökonomischen Krise. „Ich muss meine Familie ernähren“, sagt ein Unternehmer aus Khartum. „Seit einem Jahr sind wir ohne Regierung. Irgendwann muss das Leben auch weitergehen.“ Eine junge Frau aus den Widerstandskomitees erklärt ihre Zerrissenheit: „Manchmal denke ich, das Abkommen ist gut, damit das Blutvergießen endlich aufhört. Aber gleichzeitig weiß ich, dass es dann niemals Gerechtigkeit für das Blut unserer Märtyrer geben wird.“

Die sogenannte internationale Gemeinschaft – auch Deutschland – drängte zu dem Abkommen. Die politische UN-Sudan-Mission Unitams und ihr deutscher Leiter Volker Perthes stehen deswegen bei vielen in der Kritik. „Dem Westen ist es egal, was mit uns passiert. Der Sudan wird bloß ein weiterer gescheiterter afrikanischer Staat. Hauptsache, die haben Stabilität für ihre Geschäfte“, sagt ein Aktivist.

Während manche das Abkommen als Chance sehen, resignieren andere. „Dieses Abkommen ist nicht für uns, für die Protestierenden, die seit Jahren Arbeit und Zeit in den friedlichen Widerstand gesteckt haben. Es ist für die mit Einfluss, aber nicht für uns, die diese Revolution gemacht haben“, sagt ein junger Mann, der seit 2018 im Widerstand aktiv ist. Er ist verzweifelt: „Was also sollen wir tun? Dann müssen wir uns also auch Waffen besorgen? Dann hat friedlicher Widerstand nicht funktioniert.“

Fakt ist, dass dieses Abkommen vom Wohlwollen des Militärs abhängt, wie bereits 2019. Es gibt keine Garantie, dass das Militär nicht wieder putschen würde, sobald es sich bedroht fühlt. Und die Befehlshaber vergangener Morde, Massaker und Genozide in Sudan sind Teil dieses Abkommens, was ihnen politische Immunität gewährt. Ein Militär, das nicht nur den Staat, sondern auch weite Teile der Wirtschaft kontrolliert, ist nicht so leicht zu rehabilitieren.

Es ist anzunehmen, dass das Abkommen zunächst tatsächlich Stabilität schafft. Internationale Gelder können wieder fließen und es gibt Hoffnung auf Wirtschaftsaufbau. Auch das Gesundheits-, Bildungs- und interne Sicherheitssystem, die für ein Jahr komplett vernachlässigt wurden, könnten wieder aufgebaut werden. Doch ob es tatsächlich zu freien Wahlen kommt, bleibt ungewiss. Und die Hauptforderungen der Revolution, „Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit“, bleiben vorerst unerfüllt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!