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Nicht mit uns!

Kurze Geschichte der WM-Boykotte

1930, Uruguay: Dass die 1. Fußball-WM überhaupt stattfindet, ist Ergebnis eines Boykotts. Die Fifa hat nämlich das Fußballturnier der Olympischen Spiele 1932 in Los Angeles boykottiert und stattdessen ein eigenes profitables Spektakel begründet: eine WM. Weil die in Lateinamerika stattfindet, bleiben etliche Europäer fern. Deutschland beispielsweise, weil dort Profis mitspielen. Andere behaupten, es sei zu heiß oder zu teuer. Uruguayische Fans demonstrieren vor der niederländischen Botschaft gegen Königin Wilhelmina.

1934, Italien: Debatten, ob das faschistische Italien zu boykottieren sei, gibt es nicht. Weltmeister Uruguay fehlt, weil ein Spielerstreik den Fußballbetrieb lahmgelegt hat. Die britischen Teams England, Schottland, Wales und Nordirland boykottieren wie schon 1930 – aus Gewohnheit. Argentinien reist mit der zweiten Mannschaft an – aus Protest gegen die Abwerbepolitik, die Italien bei seinen Profis betreibt.

1938, Frankreich: Nur drei Teilnehmer dieser WM kommen nicht aus Europa.

1950, Brasilien: 19 Länder boykottieren diese WM, aus sehr unterschiedlichen Gründen. Argentinien, von einem Spielerstreik geschwächt, weigert sich, gegen Chile und Bolivien zu spielen; Ecuador und Peru schließen sich an. Indien boykottiert; manche sagen, weil die Fifa verbietet, barfuß zu spielen, andere, weil die Reise nach Brasilien zu teuer sei.

1954, Schweiz: Erstmals dabei: die BRD. Nicht dabei: die DDR, die erst spät in die Fifa aufgenommen wird. Auch die Sowjetunion fehlt schon in der Qualifikation, angeblich weil Stalin nach dem Scheitern im Olympia-Achtelfinale 1952 eine neue Blamage befürchtet hatte.

1958, Schweden: Taiwan boykottiert, weil sich die Volksrepublik China (letztlich vergeblich) um eine Qualifikation bemüht. Zypern will sich qualifizieren, darf aber wegen eines britischen Vetos nicht zum Qualifikationsspiel nach Ägypten fahren. Israel, das sich – nach Weigerungen der Türkei, Indonesiens und des Sudans, gegen den jüdischen Staat zu spielen – qualifiziert hat, bekommt von der Fifa ein zusätzliches Qualifikationsspiel gegen Wales aufgedrückt – und verliert.

1962, Chile: Argentinien droht mit Boykott, wenn es nicht mit Deutschland in einer Gruppe spielen dürfe. Israel, Marokko und Südkorea sind zwar Sieger in ihren Qualifikationsgruppen, aber die Fifa wertet Asien und Afrika wie auch Nordamerika nur als Untergruppen: Die Teams müssen also noch gegen starke Teams wie Italien, Spanien und Jugoslawien antreten, gegen die sie verlieren.

1966, England: 15 afrikanische Länder boykottieren, weil die Fifa ihrem Kontinent erneut keinen eigenen WM-Endrundenplatz gewährt. Auch Südkorea boykottiert, weil Nordkorea dabei ist; das wiederum wirft Italien aus dem Turnier.

1970, Mexiko: Erstmals sind bei einer WM 5 Kontinente vertreten, nur Ozeanien fehlt: 9 aus Europa, 7 aus nichteuropäischen Ländern.

1974, Deutschland: Die Sowjetunion boykottiert, weil sie kein Qualifikationsspiel im Folterstadion von Santiago de Chile spielen will. Erstmals dabei: die DDR, die dafür sogar ein Spiel in Westberlin akzeptiert – gegen Chile.

1978, Argentinien: Amnesty International startet gegen die WM in der Militärdiktatur die Kampagne „Fußball ja, Folter nein“. DFB-Präsident Hermann Neuberger lobt die Junta, sie habe in Argentinien eine „Wende zum Besseren“ bewirkt.

1982, Spanien: Die BRD und Österreich boykottieren den Sportgedanken: Bei der „Schande von Gijón“ sorgt ein verabredetes 1:0 für beider Weiterkommen. Betrogen wird Algerien.

2002, Japan/Südkorea: Erstmals findet eine WM in Asien statt, anders ausgedrückt: erstmals weder in Europa noch in Amerika. Zu den wenigen Boykottländern gehören Nordkorea (weil das Turnier in Südkorea stattfindet) und Afghanistan (weil es Fußball verboten hat).

2018, Russland: Es gibt keine nennenswerte Boykottdiskussion. Martin Krauss

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