: Staunen, was zu sehen ist
Das Festival „Theater der Dinge“ folgt diesmal „Spuren der Verunsicherung“. Licht ist dabei ein wichtiger Akteur, mit dem das Sichtbare sich verändert. Auch Migration, Krieg und Tourismus gehören zu den Themen
Von Katja Kollmann
Bläulich und schwammartig ist das Wesen, das da in einer Vitrine sprießt. Die Installation im Theaterfoyer ist Teil der Performance „HAPTO“, die an der Berliner Schaubude das Festival „Theater der Dinge“ eröffnet hat. Mit dem Motto „Spuren der Verunsicherung“ möchte das renommierte Festival bewusst an bestehende Realitäten andocken.
So verhandelt „HAPTO“, entwickelt von dem KünstlerInnen-Netzwerk systemrhizoma, den ambivalenten Zustand zwischen Nähe und Distanz. Ein von innen leuchtendes Wesen, ein Wiedergänger des Vitrinenschwamms, befindet sich in der Mitte der dunklen Bühne, bleibt auf der Stelle und bewegt sich doch. Mit jeder Bewegung der Performerin, die unter der Hülle steckt, scheint sich die Textur der „abstrakten“ Außenhaut zu verändern. Die Spannweite der Veränderung ist extrem groß, sie reicht von stachlig bis fadenartig. Das zu erleben, ist ein visuell magischer Moment.
Überhaupt ist Licht der Hauptakteur der Inszenierung. So dominieren vier bewegliche 1,50 Meter hohe Leuchtpanele die Bühne. Bald sieht man Selina Glockner und Alba Scharnhorst als Silhouetten zwischen diesen Leuchtquadern synchron auf und ab trippeln, bis sie sich gegenüberstehen, sich lange einander zugewandt synchron bewegen, um sich nach einer gefühlten Ewigkeit fest in den Armen zu halten. Im Grunde ist das ein Stück Tanztheater, das aber durch eine immer wieder überraschende Lichtregie (Lichtdesign: Thimo Kortmann) definitiv auch als Objekttheater gesehen werden kann.
Denn das ist der eigentliche Erwartungshorizont bei „Theater der Dinge“, einem Festival, das sich explizit dem Objekt- und Figurentheater verschrieben hat. Ein Höhepunkt von „HAPTO“ ist das Zusammenspiel von zwei unbeseelten temporären Akteuren: Licht und Bühnennebel. Fasziniert schaut man auf die mannigfaltigen Formen des Nebels, sichtbar gemacht durch eine extrem aufmerksame Lichtregie. Ein fluides Universum breitet sich so auf dem Bühnenboden aus, durchbricht die vierte Wand, flutet die Zuschauerreihen und erzeugt ein diffuses Gefühl von Nähe.
„Theater der Dinge“ zeigt bis zum 7. November 15 Produktionen aus Deutschland, Tschechien, Polen, der Slowakei, Frankreich und Spanien. Neben der Schaubude als Hauptspielort gibt es noch sechs weitere Spielstätten, um die Auswahl von Tim Sandweg, künstlerischer Leiter des Festivals, und der Dramaturgin Yasmine Salimi zu zeigen. Für das Diskursprogramm, zum Beispiel den Branchentreff „Breakdown – (Post) Digitale Communities der Freien Szene“ und den Festivalblog, zeichnen Beate Absalon und Sebastian Köthe verantwortlich.
„War Maker“ vom „Dafa Puppet Theatre“ aus Tschechien passt passgenau in den Motto-Rahmen der Verunsicherung. Der Theatermacher Husam Abed ist bei BesucherInnen, die wiederholt zum „Theater der Dinge“ gehen, unvergessen mit seiner Objekt-Performance „The Smooth Live“ aus dem Jahr 2017. In „War Maker“ erzählt er die Lebensgeschichte des palästinensischen Künstlers Karim Shasheen, der als Kind vor dem ersten und zweiten Golfkrieg flieht, um sich Anfang der 90er Jahre in Jugoslawien wiederzufinden. Dort wird er wieder vom Krieg eingeholt. Abed, der selbst Flüchtling war, nähert sich dieser Lebensgeschichte, die von fortwährender Migration gekennzeichnet ist, mit seiner ganz eigenen Verknüpfung von Objekttheater, Video und Livemusik. Heute Abend zu sehen in der Schaubude.
Ganz anders gelagert und doch entfernt verwandt mit „War Maker“ ist „Die Melancholie des Touristen“ von dem spanischen KünstlerInnen-Duo Jomi Oligor und Shaday Larios. Morgen und übermorgen kann man im Theater Strahl im Kulturhaus Schöneberg in die Miniaturwelten von touristischen Fata Morganas eintauchen. Über Papier- und Blechminiaturen, filigrane Mechanismen, Licht und Schatten versuchen „Oligor und Microscopia“ eine Annäherung an Illusionen, die immer wieder reproduziert werden und dabei bewusst die harte Realität der Menschen vor Ort außen vor lassen.
Weitere Inszenierungen des Festivals haben programmatische, neugierig machende Titel, zum Beidspiel „Tiefenrausch“ (Compagnie 1001, Frankreich), „Whirlpool“ (Shahab Anousha, Deutschland) oder „Etwas Durchlässiges“ (Renaud Herbin, Frankreich). Es sieht ganz danach aus, als setze „Theater der Dinge“ in seiner diesjährigen Ausgabe alles daran, so viele produktive Spuren der Verunsicherung zu legen wie möglich. Eine immaterielle Verankerung dieser ist ausdrücklich erwünscht.
Mehr Informationen zum Festival unter
www.schaubude.berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen