piwik no script img

Ideen gegen Krisen gibts genug

Die Berlin Science Week will „Lösungen für die größten Herausforderungen der Gegenwart“ präsentieren und diskutieren. Auch die Politik sollte sich mehr Anregungen aus den Wissenschaften holen, fordert Berlins Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne)

Von Manfred Ronzheimer

Einen Nobelpreis hat Berlin in diesem Jahr zwar nicht bekommen. Von denen ging einer – der für Medizin – im Oktober nach Jena. Dafür darf man sich an der Spree wieder zehn Tage lang als Welthauptstadt der Wissenschaft fühlen. So jedenfalls der Anspruch der „Berlin Science Week“, die am heutigen Dienstag ihren Auftakt hat und für zehn Tage Wissensinteressierte in über 200 Veranstaltungen locken will.

Das Themenspektrum des Wissensfestivals reicht von Quantenphysik über Klima­krise und Pandemiebekämpfung bis zu politischen Konflikten. So spricht der Agrarwissenschaftler Harald Grethe am 10. November in der Humboldt-Universität über den „Angriffskrieg auf die Ukraine und seine Implikationen für die nationale und internationale Agrar- und Ernährungspolitik“. Dabei geht es laut Ankündigung des Wissenschaftlers auch darum, ob neben der militärischen Auseinandersetzung jetzt der richtige Zeitpunkt wäre, „in resilientere Agrar- und Ernährungssysteme investieren“. Auch die Folgen des Preisanstiegs für die Ernährungssicherheit werden behandelt. Nachhaltigkeit im transdisziplinären Kontext und die Frage, wie wir unsere Zukunft aktiv besser gestalten können, dominieren als übergreifende Themen.

Für Jürgen Mlynek, früher Präsident der Humboldt-Universität und heute Vorsitzender der Falling Walls-Stiftung, die das Festival organisiert, ist der Agrarvortrag ein gutes Beispiel dafür, wie internationale Wissenschaft „Lösungen für größte Herausforderungen der Gegenwart“ anbieten kann. „Die Welt ist im Krisenmodus, aber es gibt auch Lichtblicke: die Berlin Science Week zeigt, wie exzellente Wissenschaft und Forschung die Welt von morgen positiv gestalten kann“, erklärt Mlynek. Zur Berlin Science Week, die zum siebten Mal stattfindet, werden rund 12.000 Besucher in den Präsenzveranstaltungen erwartet. Etwa ein Drittel der Termine findet weiterhin im Internet statt, wohin das Festival in den letzten Jahren Corona-bedingt komplett ausweichen musste.

Für Berlins Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne) ist vor allem der kommunikative Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft von Bedeutung. „Egal wie komplex Wissenschaft sein mag, sie muss erklärbar und zugänglich bleiben“, sagt die Grünen-Politikern. Als Berliner Senatorin sei sie „dankbar, dass unsere Wissenschaftseinrichtungen mit ihrer Vielfalt und Internationalität nicht im Elfenbeinturm forschen, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger erfahrbar bleiben“.

Gote ist es als Politikerin aber auch ein Anliegen, dass Ergebnisse der Wissenschaft besser von der Politik aufgenommen und genutzt werden. Die Wissenschaft habe nicht nur eine Bringschuld, sondern es gebe auch „eine Holschuld als politischer Raum“, sagte sie bei der Vorstellung des Programms in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. „Das ist noch nicht eingeübt“, so Gotes Erfahrung. „Das Interagieren von Politik und Wissenschaft, das könnte tatsächlich noch besser werden.“

Mit dieser Absicht unterstützt der Senat die Science Week in diesem Jahr mit 350.000 Euro. Mit weiteren 160.000 Euro wird das Projekt „Sciencepreneurship“ finanziert, das jungen Wissenschaftlern bei der Unternehmensgründung hilft. In diesem Jahr findet im Rahmen des ­Science Summits zum ersten Mal das „Sciencepreneurship Symposium“ statt.

Auch in den Veranstaltungsformaten zieht das Festival, das unter dem Motto „Dare to know“ (Wage zu wissen) steht, vom 1. bis 10. November alle Register. Geboten werden Podiumsdiskussionen, Science-Slams, Ausstellungen und Livestreams. Der große Publikums-Höhepunkt sind die „Campustage“, die am 4. und 5. November im Museum für Naturkunde Berlin stattfinden.

Höhepunkt sind die „Campustage“ im Naturkundemuseum

Am Freitagvormittag behandelt dort der „Global Food Summit“ das Thema Wasser, das in der gegenwärtigen Umweltpolitik als eine „vernachlässigte Ressource“ angesehen wird. Die Wissenschaftler aus der TU Berlin spannen in ihrem „Input zur Nationalen Wasserstrategie der Bundesregierung“ den Bogen vom Tesla-Werk in Grünheide vor den Toren Berlins bis in die von Dürre bedrohten Regionen des globalen Südens. „Wasserknappheit ist ein zunehmend lokales und globales sozio-technisches Problem, welches durch die menschengemachte Klima­krise noch verstärkt wird“, so der Ansatz der Forscher. Die Veranstaltung fasst aktuelle Forschungsergebnisse zusammen und ordnet sie in die aktuellen Trends der Wasser- und Umweltwirtschaft ein, die Maßnahmen zur Bewältigung der „Generationenaufgabe Wasser“ ergreifen müsse.

In diesem Jahr findet der „Campus“ neben dem Naturkundemuseum erstmalig auch in einem Hörsaal der Humboldt-Universität statt. Mit dem inhaltlichen Schwerpunkt „Paradigmenwechsel“ stehen die Campustage am 4. und 5. November ganz „im Zeichen multiperspektivischer Lösungsansätze und gemeinsamer Anstrengungen rund um die Themen Nachhaltigkeit & Planetary Health“, so die Veranstalter. Dazu kooperiert die Berlin ­Science Week zum ersten Mal mit „Zürich meets“, einer Initiative der Stadt Zürich. „Die Kooperation bündelt die Innovationskraft beider Städte und bringt spannende Themen und Exponate nach Berlin“, erklärt Organisator Mlynek.

Ein weiteres Energie- und Klimathema wird am Mittwoch, 9. November in der Urania geboten, passend zu der am Tag darauf beginnenden UN-Klimakonferenz in Ägypten. In der Podiumsdiskussion „Energiesicherheit im postfossilen Zeitalter“ wird diskutiert, wie sicher unsere Energieversorgung ist – aktuell in diesem Winter, vor allem aber nach der Energiewende, deren Dringlichkeit ein weiterer Hitzesommer eindrucksvoll unterstrichen hat. Veranstalter ist das Exzellenzcluster UniSysCat der TU Berlin, das sich mit Katalyseforschung beschäftigt. Die Wissenschaftler Prof. Matthias Drieß und Dr. Benjamin Steininger vom Chemie-Cluster der TU stellen dar, welche Chancen dabei neue Ansätze der chemischen Katalyse zur Energieversorgung bieten können.

„Die Klimakrise zwingt uns, unser Verhältnis zur Natur neu zu überdenken“, sagt die Umweltwissenschaftlerin Cecilia Oliveira vom Nachhaltigkeits-Institut IASS in Potsdam. Sie zeigt auf der Science Week den „Amazonas der Rechte“, der die indigenen Kosmologien der Natur entlang des Amazonas nach und die Frage stellt: „Was wäre, wenn wir die Natur nicht als Objekt, sondern als Subjekt von Rechten behandeln?“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen