: Frau und Frettchen
Wenn Patricia Haas vor großen Fragen steht, macht sie gerne fotografische Feldforschung, am liebsten mit allen Sinnen, nicht nur mit den Augen. Bestenfalls darf sie mit ihrer Kamera eindringen in andere Lebenswelten, so nah dran kommen wie möglich – fühlen, riechen, beobachten. „Durchs Fenster schauen reicht nicht“, sagt sie. In jüngster Zeit bedeutete das, sich Zugang zu fremden Wohnzimmern zu verschaffen, denn ihre Kinder wollten wissen: „Mama, kriegen wir ein Haustier?“
Aus der Recherche, welches Tier zu ihrer Familie passt, ist am Ende ein Fotoprojekt geworden: Es heißt „Gefährtin“ und zeigt Frauen und Mädchen mit ihren Hunden, Katzen, Schlangen und Schnecken. Dass keine Männer dabei sind, war so anfangs gar nicht geplant, bloß fand sie nur ganz wenige, die sich mit ihren Tieren ablichten lassen wollten. Der Mangel half ihr, das Konzept zu schärfen. Haas begann, sich mit „Frau und Tier“ in der europäischen Malerei der vergangenen Jahrhunderte zu beschäftigen und wusste dann schnell, dass ihr die Kunstgeschichte nicht zum Vorbild taugte. Denn Tiere dienten in Porträts oft nur als dekoratives Element oder Attribut für die Frau: „Ein Vogel im offenen Käfig steht dann für Freiheitsliebe; wenn Hund oder Katze zu ihren Füßen liegen, ist sie entweder besonders treu oder untreu.“
Ihre Bilder sind der Versuch, Frau und Tier gleichberechtigt darzustellen, als zwei Persönlichkeiten, die Schicksal oder Zuneigung zusammengebracht haben. Statt „Dame mit dem Hermelin“ „Frau und Frettchen“, sozusagen. Dafür war ihr wichtig, dass ihre Objekte nicht in die Kamera schauen, sondern miteinander agieren. Die neunjährige Nayen und ihre Königspython Africani beispielsweise, unschuldig umschlungen – Haas’ Gegendarstellung zum Bösen, der Sünde, Vertreibung aus dem Paradies. Oder Christina und Wellensittich Charlie am Küchentisch, gemeinsam gedankenversunken.
Dass die Beziehung zwischen Halterin und Haustier keinesfalls gleichberechtigt ist, ist Haas natürlich klar, sie hält es fest, indem sie Katzen hinter Fenstergittern fotografiert. „Trotzdem ist die Abhängigkeit ja nicht so einseitig, wie man denkt“, sagt sie. Auch wenn sich die Frauen das Leben mit dem Haustier ausgesucht hätten, müssten sie sich oftmals an deren Rhythmus anpassen, die Wohnung teilen, Verantwortung übernehmen. Die Bilderstrecke soll keine Auseinandersetzung mit Haltungsfragen sein, sondern mit Bindung und Liebe. Und Normalität. Das Klischee der „Crazy Cat Lady“, der alten Frau, die sich nur noch mit Katzen umgibt, sparte sie bewusst aus, genauso Chihuahuas in Anoraks oder Härtefälle, mit denen sich besser der Tierschutz befasst. Keines der fotografierten Tiere ist eine Pandemie-Anschaffung, sie alle gab es schon vorher.
Ihre Söhne bekamen dann übrigens Gekkos. Leonie Gubela
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen