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Neu geknüpfte Fäden

Das Lübecker Figurentheatermuseum setzt sich mit seinen Objekten auseinander und belebt sie mit Künst­le­r:in­nen aus deren Herkunftsländern neu

Aus Lübeck Robert Matthies

Nach Lübeck gekommen ist nur der bunte hölzerne Löwenkopf mit funkelnden Glasaugen. Der Körper fehlt. Vielleicht gehörten ein ­zoomorphes Ganzkörperkostüm dazu und ein Tragegestell, auf dem er gethront haben könnte – wenn er nicht, von Sän­ge­r:in­nen und Musikern begleitet, seinen Auftritt als mächtigster Jäger der Savanne hatte. Aber all das, auch der kulturelle Kontext, in dem der Löwenkopf eingebettet war, ist im afrikanischen Mali geblieben.

Viel weiß Sonja Riehn vom Lübecker Figurentheatermuseum nicht über diesen Kopf eines wana, eines Löwen des westafrikanischen Masken- und Marionettenfestes sogo bò aus der Sammlung des Museums, nur, wo und in welchem Jahr das erst nur als „Tierkopf“ bezeichnete Objekt gekauft wurde und dass es eine Figur der Bambara ist, der Ackerbauern am mittleren Niger. „Wer genau die Figur, wann, für welches Dorf und welches Fest geschnitzt hat, wurde leider nicht festgehalten“, schreibt Riehn im Blog des Thea­ter­figurenmuseums.

Rund 60 Objekte der Sammlung stammen aus Mali, darunter auch Musikinstrumente. Wie sie nach Lübeck gekommen sind, ist meist unklar. Eine der Figuren wurde 1976 laut Ankaufsunterlagen als „Bambara Marionettenbaum aus dem Gebrauch“ über einen Kunsthändler angekauft. Einige der Figuren wurden nicht nur ihrem Kontext entrissen, sondern auch fragmentiert. Die Hörner eines Antilopenkopfes aus Sirabougou etwa wurden abgetrennt, beides getrennt voneinander inventarisiert und ausgestellt. Erst 2018 konnten die Einzelteile wieder der Figur zugeordnet werden.

Mit dem Verhältnis von Figurentheater und Kolonialismus setzt sich das Museum, das seit 2017 für Sanierungen geschlossen ist, seit zwei Jahren auseinander, auch in einer virtuellen Ausstellung, um „die Fäden zu entwirren“. Aber die Lü­be­cke­r:in­nen blicken nicht nur selbst auf ihren Bestand. Für das Ausstellungs- und Forschungsprojekt „Who’s Talking! Perspektivwechsel auf Provenienz“ luden sie 2021 darstellende Künst­le­r:in­nen und aktive Fi­gu­ren­spie­le­r:in­nen dazu ein, einen künstlerischen Blick aufs Depot zu werfen und die dort stillgelegten Objekte wiederzubeleben.

Rund 60 Objekte stammen aus Mali. Wie sie nach Lübeck gekommen sind, ist meist unklar

Einer der eingeladenen Künst­le­r:in­nen ist der malische Regisseur und Figurenspieler Yacouba Magassouba. 2010 gründete er die Compagnie Nama, die Figuren- und Maskenspiel mit Tanz und traditionellen Rhythmen und Gesängen verknüpft und die einzige ist, die in Mali selbst Riesenmarionetten baut. Entstanden ist aus der Zusammenarbeit das Theaterstück „La fête au village“, die Idee dazu kam Magassouba, nachdem er die ersten Objektfotos aus Lübeck gesehen hatte.

Vor einem Jahr führte die Compagnie Nama das Figurenspektakel in Bamako (Mali) mit neu geschnitzten und damit neu interpretierten Figuren aus der Lübecker Sammlung auf. In der virtuellen Ausstellung ist nun dokumentiert, wie die Figuren, die in Lübeck nur als Bruchstücke vorhanden sind, entstanden sein könnten und wie sie heute in Mali gespielt werden können. Und das Stück war im Lübecker Kino als Film zu erleben.

Im Konzept des Kolk 17, in dem das Museum sich mit dem benachbarten Lübecker Figurentheater zusammenschließt, ist die postkoloniale Auseinandersetzung mit dem Bestand künftig ein zentraler Baustein. Der neue Ausstellungsraum zu malischen Sammlungsobjekten im 2024 eröffnenden neuen gemeinsamen Haus wird dann von Magassouba mitkonzipiert sein.

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