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Elitär ist das übrigens nicht

Was ist anstrengender, acht Stunden lang Stanzen dichten oder dicht an einer Stanze arbeiten? Die Dichter Elisabeth Wesuls und Gerd Adloff lasen am Dienstag in der Babinischen Republik aus ihren aktuellen Büchern

Von Robert Mießner

Kurz bevor die Lesung beginnt, hängt eine Spinne am langen Faden von der Decke der Babinischen Republik. Deren Territorium ist ein Ladenlokal in der Dresdner Straße, Kreuzberg, fünf Minuten vom Kottbusser Tor. Die Republik ist ein länglicher Tunnel, an dessen Ende eine halbe Wendeltreppe zu einem Podest mit einem roten Vorhang führt. Auf der Kanzel nimmt die Dichterin Elisabeth Wesuls Platz.

Rechts von ihr im Regal stehen Zeitschriften, von einem Cover schaut Tom Waits. Irgendwie passt der zeitlose Beatnik zu Wesuls Gedichten und Prosastücken. In einem davon wird beschrieben, wie die Wohnsituation zweier Dichter wild wird. Ein zerstörter Plattenspieler und eine Katze treten auf. Was skurril wirkt, ist ernst. In „Über die Fleischmacher“ schreibt Wesuls von deren „Hauptgesetz“, es sei eines „mit verkniffenem Mund“. Und: „So ist das Dasein/der Fleischmacher trotz allem/ein ernstes und freudlos, selbstlos/erhalten sie Ordnung/und Recht, gegen alles/und jeden, sich selbst.“ Dass das auf den August und Dezember 1981 – den Monat, als das Kriegsrecht in Polen ausgerufen wurde – datiert ist, liest Wesuls nicht mit. Die Zeilen sind zeitlos.

Elisabeth Wesuls, geboren 1954 in Eibenberg/Erzgebirge, hat in der DDR eine anständig unbotmäßige Jugend und Erwerbsbiografie hingelegt, 1986 in der Reihe „Poesiealbum“ Gedichte veröffentlicht und arbeitet jetzt als Heilpraktikerin, ist den biografischen Angaben ihres Buchs „Und im Kopf wuchern Wiesen“ zu entnehmen. Und dass sie mit Gerd Adloff zusammen in Berlin lebt. Das tun die beiden schon eine ganze Weile, dass sie einander Lebensmenschen sind, wird auch während der Lesung deutlich.

Über den Dichter und Fotografen Gerd Adloff ist in seinem neuen Buch „Ist die Musik zu laut?“ zu erfahren, dass er 1952 in Berlin geboren wurde und nach Schule und Armeezeit als Buchverkäufer und Packer in einer Zeitungsdruckerei gearbeitet hat. Nach dem Studium ging es für ihn an die Akademie. Der Jazzfan und Billardspieler Adloff hat Lesereihen initiiert und in Literaturvereinen gearbeitet.

Die beiden Bücher, aus denen Wesuls und Adloff lesen, sind bibliophile Schmuckstücke. „Und im Kopf wuchern Wiesen“ enthält Linolschnitte der argentinischen Künstlerin Marcela Miranda, „Ist die Musik zu laut?“ Zeichnungen des Geraer Künstlers Kay Voigtmann. Erschienen sind sie in der Corvinus Presse, andere Bücher von Wesuls und Adloff bei Moloko Print, beides Verlage mit Augen für das schöne Detail.

Elitär ist das im Übrigen nicht. In seinem „Fragebogen zu einer Poetologie“ möchte Adloff wissen: „Acht Stunden Stanzen dichten oder acht Stunden/dicht an einer Stanze arbeiten, was ist anstrengender?“ Während ihres Vortrags haben Wesuls und Adloff eine ganze Regalreihe mit den roten Bänden des „Wörterbuchs der deutschen Umgangssprache“ vor sich. Auch das passt.

Nach der Lesung ist die Spinne, sie hatte die ganze Zeit das Plakat eines Poesiefestivals in Granada, Nicaragua, im Blick, verschwunden. Aus einem der Bücherregale schaut Norbert „Knofo“ Kröcher, Mitbegründer der Bewegung 2. Juni. Auf dem Rückweg zur U8 fällt mir noch ein Gedicht von Gerd Adloff ein. „Textaufgabe“ beschreibt lakonisch die Wartezeit auf dem S-Bahnhof Pankow. In den zwölf Minuten durchsuchen drei Menschen den Papierkorb nach leeren Flaschen. Am Kottbusser Tor tun sie kurz vor Mitternacht nicht einmal mehr das, sehe ich. Gerd Adloff schließt seine Beobachtung mit: „Angenommen/es war ein gewöhnlicher Wochentag/berechne/den Zustand dieses Landes.“

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