Nachts durchs Museum

Beim Humboldt Forum freut man sich über Zehntausende Be­su­che­r*in­nen zum großen Eröffnungsfestival. Dass viele sich für eine Nachtführung interessierten, hatte die Leitung gar nicht erwartet

Besucherin vor Bronze: Am Samstag im jetzt komplett eröffneten Humboldt Forum Foto: Paul Zinken/dpa

Von Uta Schleiermacher

Hartmut Dorgerloh ist etwas überrumpelt, Samstagnacht im Humboldt-Forum. Zur angekündigten „Nachteulenführung“ mit ihm als Generalintendanten sind weit mehr als die von ihm erwarteten 20 bis 30 Menschen gekommen: Um die 150 Interessierte drängen sich um 1 Uhr nachts aus dem ungemütlichen Regen ins Foyer, und ohne Mikrofon fällt es Dorgerloh etwas schwer, bis in die hinteren Reihen durchzudringen. „Ich wollte schon immer mal nachts durchs Museum gehen“, sagt er. Dass das auch so viele andere interessiert, überrasche ihn, sagt er.

Es ist das offizielle Eröffnungswochenende, an dem nach mehreren Teileröffnungen nun auch die Räume im sogenannten Ostflügel zugänglich sind. Das Forum hatte unter dem Titel „24h Offen“ ein Festival mit internationalen Gästen, Führungen, Filmen, Konzerten und DJs auf die Beine gestellt, rund 25.000 Be­su­che­r*in­nen zählte man bis Sonntagmittag – acht bis zehnmal so viele wie an gewöhnlichen Wochenenden.Be­su­che­r*in­nen schienen das mit den 24 Stunden auch wörtlicher genommen zu haben, als man es beim Humboldt Forum gemeint hatte. Mehrere Sicherheitsdienst-Mitarbeiter erklären gegen Mitternacht mit deutlichen Seitenhieben auf die Informationspolitik des Hauses, dass weder die Ausstellungen noch die Dachterasse nachts offen seien – auch nicht über die auf den Boden geklebte blaue „24h offen Route“. Sie schicken die Leute entweder in den stickigen Filmraum oder in den Schlüterhof: In letzterem hängt ein überdimensionierter Ballon in Form einer sauren Gurke mit Mikro unten dran von einem Kran und dreht sich auch spät nachts noch zu Lichtshow und DJ-Klängen.

Doch viele sind offensichtlich vor allem gekommen, um ins Museum zu gehen. Um dem nächtlichen Andrang Herr zu werden, teilt Dorgerloh die Be­su­che­r*in­nen nach Geburtsmonaten in sechs kleine Gruppen, die nacheinander durch die Ausstellungen laufen dürfen.

Dabei offenbaren sich die Brüche und Konfliktlinien, mit denen dieses Haus weiter zu tun haben wird. Der Kamerun-Raum etwa gehe aus ihrer Sicht gar nicht, sagt eine Mitarbeiterin bei einer dieser improvisierten Führungen. Sie und andere Kolleg*in­nen seien fassungslos, wie ausgerechnet bei den Exponaten aus einer ehemaligen deutschen Kolonie das Konzept von vor zehn Jahren einfach weiter umgesetzt werde. „Hier laufen auch Rückforderungen“, sagt sie. Der Raum werde wohl nicht so bleiben.

Anderes ist bereits wieder auf dem Weg zurück in die ursprüngliche Heimat: Ein Großteil der berühmten Benin-Bronzen, zu Kolonialzeiten geraubte Kunstschätze, gehen nach jahrelangen Diskussionen zurück nach Nigeria. Nur ein kleiner Teil der über 500 Bronzen wird als Leihgabe ausgestellt.

In anderen Räumen weisen die Lei­te­r*in­nen der Rundgänge darauf hin, wie Konzepte noch mal überarbeitet wurden und wie Ausstellungsstücke durch zeitgenössische Kunst aus den Herkunftsländern ergänzt werden – etwa durch ein Kleid aus Namibia, in dessen Textur Kritik am Kolonialismus eingewebt ist.

Die Be­su­che­r*in­nen haben das „24h Offen“ etwas zu wörtlich genommen

Der Druck, die Perspektive und die Art der Ausstellungen überhaupt zu überdenken kam aus zivilgesellschaftlichen Initiativen. „Der weitaus größte Teil der im Humboldt Forum ausgestellten Exponate aus der Kolonialzeit sind ohne Zustimmung der rechtmäßigen Besitzer angeeignet worden“ und würden weiterhin ohne deren Einverständnis ausgestellt, schreibt Berlin Postkolonial in einer Pressemitteilung zum Eröffnungswochenende. Anstatt koloniale Objekte weiter auszustellen, sollten die Räume dazu genutzt werden, um Kolonialismus und den Widerstand dagegen zu thematisieren.

Dorgerloh sagte zur Eröffnung, es gehe nun darum, zuzuhören und andere Perspektiven zuzulassen. Dadurch würden sich die Ausstellungen verändern „und auch unser eigenes Denken“.

Solche Sätze mögen ganz ähnlich klingen wie die Forderungen von Dekolonialisierungs-Initiativen wie Berlin Postkolonial, doch in den Konsequenzen bleiben sie doch noch weit von einander entfernt.