: Wie der Koh-i-Noor auf die Krone kam
Damals wie heute ist Indien ein Drehkreuz für Diamanten. Im Westen des Landes werden unzählige der harten und teuren Edelsteine geschliffen, gehandelt und reisen dann um die Welt. Doch dieser Tage dreht sich die Debatte um einen besonderen, sehr alten Stein: den Koh-i-Noor-Diamanten, der den Persern durch seine hohe Brechung wie ein „Berg aus Licht“ („Koh-i-Noor“) erschien und seither diesen Namen trägt.
Mit dem Tod von Königin Elisabeth II. werden wieder Forderungen laut, dass Großbritannien das hochkarätige Schmuckstück an die ursprünglichen Besitzer zurückgeben soll. Aber wer sind sie? Der Inder Venktesh Shukla startete beispielsweise eine Petition für die Rückgabe an Indien. Doch auch Pakistan stellt Ansprüche, denn das Land argumentiert, Rechtsnachfolgerin des einst von den Briten annektierten Königreichs Pandschab zu sein. In der Vergangenheit gab es auch Forderungen seitens des Irans, Afghanistans und in den Neunzigern der Taliban. Es ist kompliziert.
Der umkämpfte Diamant soll aus einer Mine im historischen Sultanat Golconda stammen, das im heutigen südindischen Bundesstaat Andhra Pradesh liegt. Seit der Stein in Aufzeichnungen zu finden ist, hat er viele Male seinen Besitzer gewechselt: Seine Reise führte vom Süden, wo er als Göttinnenauge gepriesen wurde, in den Norden des indischen Subkontinents, weiter in den heutigen Iran über Afghanistan nach Lahore im gegenwärtigen Pakistan. Nach der Annexion des Pandschabs durch die Britische Ostindien-Kompanie 1849 ging er in die Kronjuwelen von Königin Victoria über. Ein indischer Historiker will übrigens wissen, dass das Juwel nach dem Tod des Sikh-Herrschers Ranjit Singh 1839 dem Gott Lord Jagannath vermacht wurde. Wurde er also aus Gottes Hand entwendet?
1306
wird der Diamant in einem hinduistischen Text erwähnt. In der hinduistischen Kakatiya-Dynastie stellt er in einem Tempel das Auge einer Göttin dar.
1310
wird er von der türkisch-afghanischen Khilji-Dynastie geraubt und geht ins Sultanat von Delhi über.
1526
kommt der Diamant in den Besitz des Timuriden-Fürsten Babur, nachdem der in Indien einfiel und das Mogulreich gründete.
1739
raubt der persische Eroberer Nader Shah den Koh-i-Noor.
1751
geht das Juwel an den Gründer des Afghanischen Reiches, Ahmad Shah Durrani
1813
gelangt in es unter zweifelhaften Umständen in den Besitz des Sikh-Herrschers Ranjit Singh.
1849
wird der Pandschab durch die Britische Ostindien-Kompanie annektiert, der Diamant geht damit in den Besitz von Königin Victoria über.
1851
ist er auf der Weltausstellung in London zu sehen.
1852
wurde der Diamant nach europäischem Geschmack von 739 auf 105,6 Karat heruntergeschliffen.
1876
wird Königin Victoria zur Kaiserin von Britisch-Indien ausgerufen
1937
wurde er als zentraler Stein in die spätere Staatskrone von Königin Elisabeth eingearbeitet.
1947
Indien und Pakistan werden unabhängig.
2022
Camilla, Ehefrau von Charles III., soll die Krone zukünftig tragen dürfen.
Im indischen Oberhaus wurde bereits 2016 eine Rückforderung diskutiert. Das staatliche Archäologie-Gremium ASI stellte aber fest, dass der Koh-i-Noor vom Maharadscha von Lahore an die damalige Königin von England „übergeben“ worden sei. Diese Haltung vertrat auch die indische Regierung vor dem Obersten Gericht.
Der aktuelle Ruf nach der Rückgabe wird vor allem auf Social Media laut. Die indische Regierung wird derzeit kaum Druck aufbauen wollen, auch wenn der indische Außenminister vor ein paar Jahren anmerkte, dass die Briten umgerechnet 45 Trillionen US-Dollar aus dem Subkontinent raubten. Einer der teuersten Diamanten der Welt, dessen Wert auf über 200 Millionen Dollar geschätzt wird, ist da nur ein Bruchteil der Beute.
Aufbewahrt wird der Diamant im Tower of London. Er wurde als zentraler Stein in die Krone der Königin eingearbeitet. Ob die Briten ihn jemals herausgeben werden, ist fraglich. Ein Interesse daran zeigten sie bisher nie, denn er symbolisiert die alte Stellung Großbritanniens als Kolonialmacht. Allerdings soll am Koh-i-Noor ein Fluch haften: Wem er gehört, der werde die ganze Welt besitzen, doch den werde auch alles Unglück der Welt treffen. Nur Gott oder eine Frau könnten den Diamanten ungestraft tragen, besagt eine Legende. Also: Finger weg, Charles! Natalie Mayroth
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