Energiekrise in Berlin: Angst vor der Kälte

Mit den Energiekosten steigt bei vielen Mie­te­r*in­nen die Unsicherheit – sie suchen den Rat der Schuldnerberatung.

Zu sehen sind drei Gaszähler die an jeweils zwei Rohren vor einer grauen Wand befestigt sind. An den Rohren befinden sich gelbe Hebel und jeder Zähler verfügt über ein kleines Feld auf dem der Zählerstand abgelesen werden kann.

Zwischen 3000 und 5000 Euro mehr fürs Gas: Das können sich viele nicht leisten Foto: Achim Sass/plainpicture

BERLIN taz | “Berlin packt das“, lautet die Überschrift der Webseite, auf der das Land Berlin seit Kurzem Infos, Hilfen und Tipps in Sachen Energie bündelt. Aber die Zahlen lassen Skepsis zu: Rund ein Viertel der Ber­li­ne­r*in­nen ist nicht in der Lage, dem allgegenwärtigen Rat der Politik zu folgen und Rücklagen zu bilden, viele sind überschuldet. Und selbst diejenigen, die noch sparen können, fragen sich, wie sie die Kosten auf Dauer stemmen sollen: Schon in diesem Sommer haben Berlins Wohnungsbaugesellschaften die Heizkosten um 60 Prozent bei Fernwärme und um 100 Prozent bei Gas angehoben. Macht im Jahr zwischen 3.000 und 5.000 Euro Mehrkosten, mindestens.

Das schürt Angst und schafft Probleme, die die Schuldnerberatungsstellen längst zu spüren bekommen. Von einem deutlichen Anstieg der Kontaktaufnahmen berichtet Elisabeth Grauel, Projektleiterin der Energieschulden-Beratungsstelle der Verbraucherzentrale Berlin. „In letzter Zeit sind sehr viele Leute gekommen, die Probleme haben, die neuen Abschläge zu bewältigen. Bei Anfragen zu Gasproblemen haben wir eine Verdopplung gehabt.“

Auffällig sei zudem, dass sich vermehrt Menschen meldeten, die bisher nicht so häufig zu den Ratsuchenden gehörten. Die Anfragen von Ren­te­r*in­nen hätten sich verdoppelt, sagt die Beraterin, und auch die Zahl der Lohn- und Ge­halts­emp­fän­ge­r*in­nen sei gestiegen. Eine Erfahrung, die auch viele andere soziale Hilfsprojekte machen.

Das Rechnen beginnt

Die kostenlose Energieschuldenberatung der Verbraucherzentrale berät nur Verbraucher*innen, die mit dem Energieanbieter einen direkten Vertrag haben – wer die Heizkosten über die Miete zahlt, muss sich an die Mieterberatung wenden. Im ersten Schritt wird laut Grauel geprüft, ob die Abschläge tatsächlich dem realen Verbrauch entsprechen. „Beruhen sie auf einer Schätzung, kann der tatsächliche Verbrauch höher oder niedriger sein“, erklärt Grauel. „Läuft die Warmwasserversorgung über Strom, kann der Verbrauch schnell deutlich über den geschätzten Werten liegen.“

Weiß man über die realen Kosten Bescheid, kann mit dem Rechnen begonnen werden. Grauel: „Wir schauen uns das Einkommen und die Wohnkosten an und prüfen den Anspruch auf Wohngeld oder ergänzende Leistungen nach dem XII. Sozialgesetzbuch“, also Hartz IV. Dabei werde danach unterschieden, ob den Ver­brau­che­r*in­nen dauerhaft eine Leistung zusteht oder ob sie möglicherweise einen Anspruch auf eine einmalige Leistung haben – etwa bei einer Nachzahlung, die nicht zu bewältigen ist.

Nur: Wie kann Menschen geholfen werden, die durch Energiekosten zwar in finanzielle Bedrängnis geraten, aber keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben – weil sie, wie Grauel es formuliert, „gerade über der roten Linie liegen“? „Das wissen wir noch nicht“, lautet die knappe Antwort von Marco Rauter von der Arbeiterwohlfahrt Berlin, der in Neukölln als Schuldnerberater arbeitet.

Zwar hat der Senat schon vor einer Weile einen Härtefallfonds Energie angekündigt: 380 Millionen Euro sollen es mindestens sein. Die Vergabekriterien sind jedoch noch völlig unklar, und das, obwohl das Problem der Energiekosten in der Schuldnerberatung längst im Mittelpunkt steht.

Die Frage sei nicht nur, wer unter welchen Bedingungen antragsberechtigt ist, es sei auch noch offen, ob der Fonds nur für akute Energieschulden in Form hoher Nachzahlungen infrage kommt, so Rauter. „Wenn dem so ist, dann ist es verrückt, dass wir den Leuten jetzt raten, höhere Abschläge zu zahlen, damit sie nachher keine hohe Nachzahlung bekommen.“

Dramatische Folgen

Umgekehrt können die Be­ra­te­r*in­nen natürlich nicht zulassen, dass existenzsichernde Kosten nicht bezahlt werden. Wer Gas oder Strom nicht zahlt, riskiert die Sperre. „Das kann ziemlich schnell gehen“, weiß Elisabeth Grauel. „Nach vierzehn Tagen kommt eine Mahnung, das ist in der Regel schon die Sperrandrohung, vier Wochen später kommt die Sperrankündigung.“ Nach weiteren acht Tagen kann es dunkel oder kalt in der Wohnung werden.

Noch dramatischer wird es, wenn man seinem Vermieter Heizkosten schuldig bleibt. Gerade in Berlin werde ein Zahlungsrückstand gern als Kündigungsgrund genutzt, sagt Marco Rauter: „Und das ist bei unserer Klientel gleichbedeutend mit Wohnungslosigkeit. Es ist ja jetzt nicht so, dass im Nachbarhaus eine bezahlbare Wohnung wartet. Mit einem Schufa-Eintrag oder negativen Scorewert kann man die auch gar nicht anmieten.“ Er könne deshalb niemandem raten, es in der Hoffnung auf den Härtefallfonds darauf ankommen zu lassen. „Auch wenn man womöglich seinen Anspruch verliert.“

Ein Anspruchsverlust wäre vor allem für Schuld­ne­r*in­nen besonders bitter. Denn die sind durch die hohen Abschläge nun gezwungen, die Abzahlung ihrer Schulden einzuschränken oder ganz einzustellen. „Immer mehr Gläubiger schreiben uns an: Ihre Klienten zahlen die Raten nicht mehr“, berichtet Rauter. Dann würden die in meist langwierigen Verhandlungen getroffenen Vereinbarungen gekündigt. „Und die Klienten kommen zu uns, weil sie wieder Mahnungen kriegen.“

Schuldnerberatung in Zeiten der Inflation ist Sisyphosarbeit: Was man heute mühsam ausrechne und aushandele, sei morgen wieder passé, schildert Rauter. Oft lohne sich eine Verhandlung nicht. „Selbst wenn jetzt 15 Euro übrig sind, macht es keinen Sinn, die anzubieten“, sagt er. „Wenn die Kosten weiter steigen, brechen diese Vereinbarungen in ein paar Monaten wieder zusammen.“ Inflation und Energiekrise schaffen also nicht nur neue Schuldnerinnen und Schuldner, sie verhindern auch, dass schon jetzt überschuldete Menschen aus den roten Zahlen kommen.

Dimensionen erst in den nächsten Jahren abzusehen

Grauel, Rauter und ihre Kol­le­g*in­nen rechnen damit, dass spätestens mit den Abrechnungen und den daraus resultierenden neuen Abschlägen im Laufe des nächsten Jahres eine Welle an Ratsuchenden auf sie zukommen wird. Die eigentliche Dimension der jetzigen Krise werde sich in der Schuldnerberatung aber erst im Laufe der kommenden Jahre und Jahrzehnte zeigen, meint Rauter. „Das ist wie in jeder anderen Krise: jetzt wird erst mal versucht, alles privat aufzufangen. Das heißt: vollständige Inanspruchnahme des Dispokredits, private Kreditaufnahme in der Familie bis hin zur Kündigung der privaten Altersvorsorge.“ Erkrankt man dann, verliert seinen Job oder geht in Rente, wird das zur Schuldenfalle.

Problematisch sei auch die bei Geldknappheit häufig in Anspruch genommene Möglichkeit von Konsumkrediten, so Rauter: „Etwas schnell im Internet auf Raten zu kaufen, ist ja viel einfacher, als bei der Bank einen höheren Dispo zu beantragen.“ Das kann gefährlich werden: „Wenn sich diese kleinen Raten sammeln, habe ich plötzlich ein Riesenproblem. Und das sind Vollprofis, die sofort mit professionellem Inkasso kommen.“

Gleiches gilt für das bargeldlose Zahlen. Wenn man im Supermarkt nur kurz die Karte vors Gerät hält und der Bon auch ohne PIN-Eingabe aus der Kasse schießt, bedeutet das noch nicht, dass die Rechnung beglichen ist. Es ist wie beim Lastschriftverfahren: Kann der Betrag wegen mangelnder Kontodeckung nicht abgebucht werden, kommt gleich eine Mahnung, oft vom Inkasso-Dienst.

Schnell Beratung suchen

In Zeiten großer Geldknappheit ist es also ratsam, seinen Kontostand stets im Blick zu behalten. Viele Geldinstitute bieten Apps an, die einen bei jeder Zahlung benachrichtigen und über den Kontostand informieren. Noch besser sei es aber, mit Bargeld zu zahlen und nach alter Manier ein Haushaltsbuch zu führen, so Rauter.

„Wenn die erste Rechnung ins Haus kommt, die man nicht begleichen kann, sollte man sich sofort Beratung suchen“, darin sind sich Elisabeth Grauel und Marco Rauter einig. Die Beratung ist für alle Bür­ge­r*in­nen kostenlos. Neben Ratenvereinbarungen, etwa mit dem Energieversorger, verhandeln die Be­ra­te­r*in­nen auch in Sachen öffentliche und private Darlehen. „In der Regel bekommt man innerhalb von drei Wochen einen Termin“, sagt Rauter. „Bei existenziellen Fragen wie einer drohenden Gas- oder Stromsperre auch am selben oder folgenden Werktag.“

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