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: „Der letzte Schritt der Vernichtung“

Zwei Gedenkbücher widmen sich der Verfolgung von Sin­ti:z­ze und Rom:­nja in Nordwestdeutschland

Foto: privat

Hans Hesse

61, ist Historiker und gebürtiger Bremer. Heute lebt er bei Köln.

Interview Marco Fründt

taz:­ Herr Hesse, was ist am 8. März 1943 in Nordwestdeutschland passiert?

Hans Hesse: Damals wurden aus Nordwestdeutschland, dem Bremer Kripo-Leitstellengebiet, alle Sinti und Roma der Region nach Bremen zum Schlachthof geführt und in drei Transporten nach Auschwitz in das sogenannte Zigeunerfamilienlager deportiert.

Sie haben darüber zwei Gedenkbücher geschrieben.

Gedenkbücher über die Deportation von Sinti und Roma sind in Deutschland noch nicht üblich, wie man es zum Beispiel für die jüdischen Verfolgten kennt. Biografische Forschungen können bei Betroffenen Ängste auslösen. Ein solches Projekt kann man aber nicht ohne die Mitarbeit etwa der Vereine machen. In diesem Fall waren es die Sinti-Vereine in Bremen, Bremerhaven und Oldenburg.

Wie kamen Sie dazu, die Gedenkbücher zu schreiben?

Der Ausgangspunkt war eigentlich eine Recherche für die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte. Ich wurde gebeten, Namen und Biografien der Sinti und Roma zu recherchieren, die im Mai 1940 über den Hannoverschen Bahnhof, aber eben auch aus Nordwestdeutschland deportiert worden sind. Im Arbeitsverlauf hat sich dann herausgestellt, dass es Sinn ergibt, die große Menge an Material auch in zwei Büchern festzuhalten. Das erste Buch befasst sich mit der Deportation im Mai 1940 und ist letztes Jahr im Mai erschienen. Das zweite, Deportation im März 1943, wird jetzt vorgestellt. Insgesamt haben die Bücher einen Umfang von über 500 Seiten.

Wie wird die Deportation der Sin­ti:z­ze und Rom:­nja heute im Nordwesten wahrgenommen?

Auf Seiten der Vereine besteht ein großes Interesse. Bis zur Veröffentlichung dieses Buches waren die Namen der Verfolgten nicht bekannt. Erst durch ihre Veröffentlichung bekam die Verfolgung ein konkretes Gesicht. Die Vereine vor Ort benutzen diese Informationen für ihre politische Bildungsarbeit oder in ihrer Arbeit mit Schulklassen. So können sie zeigen: Das waren die Opfer, das ist passiert.

Warum ist es wichtig, die Namen der Betroffenen zu nennen und ihre Biografien öffentlich zu machen?

Es gibt tatsächlich Menschen, die sagen, wenn ihr uns keine Namen nennen könnt von denen, die verfolgt worden sind, dann hat es diese Verfolgung nicht gegeben. Erst durch die historische Forschung können wir Namen nachweisen und dann sehr konkret sagen, wer verfolgt und deportiert wurde.

Welche Rolle hat der Nordwesten bei der Deportation gespielt?

Im Mai 1940 wurden über Hamburg, Köln und Heidelberg 2.500 Sinti und Roma in die deutsch besetzten Gebiete nach Polen deportiert. Bremen – als dann im März 1943 die restlichen Sinti und Roma nach Auschwitz deportiert wurden – macht für das restliche Reichsgebiet keinen großen Unterschied aus. Leider sind die Geschehnisse in Bremen, etwa die Internierung im heutigen Kulturzen­trum Schlachthof, keine Besonderheit. Das war im Grunde der letzte Schritt in der Vernichtung.

Buchvorstellung „… wir sehen uns in Bremerhaven wieder …“ (Edition Falkenberg, 336 S., 24,90 Euro): Do, 8. 9., 11 Uhr, Staatsarchiv Bremen