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Note für Note Spaß

Aficionados können sich auf Flamenco-Konzerte freuen: Der legendäre Gitarrist Tomatito kommt ebenso wie der Flamenco-Jazzer Antonio Lizana. Höhepunkt dürften die Auftritte von Popstar Rosalía werden – auch wenn ihr manche kulturelle Aneignung vorwerfen

Raffiniert und spielerisch: Superstar Rosalía   Foto: Álex Zea picture alliance/dpa/EUROPA PRESS

Von Katrin Wilke

Derzeit wird getourt, als wenn es kein Morgen gäbe. Allein in Sachen Flamenco & Co. stehen einige bemerkenswerte Live-Erlebnisse an: Einer der ganz Großen der Flamenco-Gitarre, Tomatito alias José Fernández Torres, nimmt im November seinen sage und schreibe vierten Anlauf zu zwei Deutschlandkonzerten (Berlin, 22. 11. und München, 23. 11.). Der Weltklassemusiker aus Almería kursiert unter den Aficionados schon längst nicht mehr unter seinem nach Jungspund klingenden Spitznamen „Tomätchen“.

Tomatito wurde kürzlich 64, wirkt mit seiner dunklen Lockenmähne und dem sanftmütig-charmanten Lächeln allerdings gar nicht so viel älter als in seinen jungen Jahren als Begleitmusiker von Camarón. Der für viele bis heute wichtigste Flamenco-Sänger der Moderne hatte zuvor mit Paco de Lucía gearbeitet und sich dann für den blutjungen Tomatito entschieden. Dieser fiel künstlerisch wie menschlich in ein Riesenloch, als der „Cantaor“ (Flamencosänger) 1992 mit nur 41 Jahren starb. Schweren Herzens rang sich Tomatito zu einer Solokarriere durch und hat sich längst von seinem künstlerischen Ziehvater emanzipiert.

Und doch meinte der Latin-Grammy-dekorierte Gitarrenvirtuose kürzlich in einem Interview, er würde nach wie vor mit Camarón spielen, wäre dieser noch am Leben. Stattdessen arbeitet er seit Jahrzehnten mit vielen Stars inner- sowie außerhalb der Flamenco-Szene (etwa mit dem dominikanischen Jazz-Gitarristen Michel Camilo). Nicht selten ist eins seiner zwei ebenfalls im Flamenco tätigen Kinder dabei, Gitarrist Tomatito hijo und die Cantaora Mariangeles Fernández. Im Zusammenspiel mit seinen zumeist recht jungen Mitmusikern wird Tomatitos gleichwohl traditionsbezogene, wie der Moderne gegenüber offene Haltung spürbar.

Einer wie er, der schon mit der spanischen Popband Mecano ein Album aufnahm und den Support machte für Frank Sinatra und Elton John, der ist durchaus auch in einer Allianz mit Rosalía vorzustellen. Der Superstar aus Katalonien mit Fans wie Beyoncé oder Billie Eilish wird von nicht wenigen, nicht mal nur strengen Puristen, seit Beginn ihres sehr schnell sehr erfolgreichen Tuns kritisch beäugt. Die Sängerin, Songwriterin und Produzentin, deren durchweg spanischer Gesang auch ihre Flamenco-Sozialisierung erkennen lässt, weiß sich sportlich und souverän über Vorwürfe betreffs kultureller Aneignung zu erheben; darüber, ob das, was sie macht, nun Flamenco sei oder nicht.

Rosalía weiß sich souverän über die Vorwürfe zu erheben

Zumal sie sich trotz diverser explizierter Verweise und Rückgriffe auf diese ursprünglich von den Gitanos in Andalusien entfachte, längst in aller Welt kultivierte Kunst nie direkt mit dem Etikett Flamenco schmückt. In nur fünf bis sechs ihrer knapp 30 Lebensjahre und mit mittlerweile drei Alben hat sie sich weltweit einen Namen gemacht: Das durch nichts als Stimme und Gitarre betörend essenzielle „Los Angeles“ (2017) mit dem katalanischen Super-Producer und Musiker Refree und das extrem raffiniert Flamenco und aktuellen Pop verquickende „El mal querer“ (2018).

„Motomami“ (2022), das sie im Dezember auf zwei Konzerten in Düsseldorf (4. 11.) und Berlin (7. 11.) vorstellt, ist wie die Vorgänger tiefgründig, aber sie treibt hier ihren Spaß am Jonglieren mit musikalischen Sprachen noch gehörig weiter: Rosalia Vila Tobella aus dem kleinen Ort Sant Esteve Sesrovires in Katalonien, die zwischenzeitlich länger in den USA weilte, stellt überraschende, gelegentlich irritierende Verbindungen her zwischen Reggaeton, Trap, Elektronik, Jazz, Bachata („La Fama“ feat. The Weeknd) oder Bolero („Delirio de Grandeza“). Der Grundstein für dieses geschickte, spielerische Vorgehen wurde wohl schon in ihren frühen Lehrjahren gelegt, etwa im „Taller de Músics“, dieser Barceloner Schule, die viele Kreativkräfte und gute Jazzer hervorbrachte.

Eine Rosalía und junge Flamenco-Jazzer wie Antonio Lizana oder Daniel García ­Diego trennen in Sachen Ruhm Welten. Zugleich haben die drei Verbindungen nach Deutschland (Rosalía arbeitet mit einem Choreografen aus Fürth, die beiden besagten Musiker mit einem Konzertbooker in NRW) und sie eint eine ungezügelte Lust am Kreieren. Und irgendwie nimmt man Rosalía ab, dass sie auch ohne ihren Megaerfolg nichts anderes täte. Auch dem andalusischen Saxofonisten und Cantaor Lizana sowie dem Pianisten García Diego aus Salamanca hört man Note für Note den Spaß an der Sache an.

Jung und vital: Saxofonist Antonio Lizana (l.), hier mit dem Tänzer Mawi de Cadiz   Foto: Günter Maiß

Der viel Sympathie und Vitalität ausstrahlenden Südspanier Lizana gelangte in relativ wenigen Jahren zu größerer, mittlerweile internationaler Bekanntheit. Der Musiker mit starker Flamenco-Verwurzelung, der im Baskenland Jazz studierte, gehört zu den noch immer nicht sonderlich vielen singenden Instrumentalisten im Flamenco. Der Mittdreißiger, aus demselben Viertel in Cádiz wie Camarón, switcht zwischen beidem bisweilen blitzschnell. Seine Kompositionen haben etwas ungemein Paritätisches zwischen dem Melodiösen und Rhythmischen des Flamenco und dem freiheitsliebenden Jazz.

Lizana machte 2013 gemeinsame Sache mit Arturo O’farrills Afrolatin Jazz Orchestra und nach drei eigenen Alben 2021 eins mit lauter flamencoisierten Jazzstandards gemeinsam mit dem Pianisten Chano Domínguez, einem der Flamenco-Jazz-Urväter. An die längst im Flamenco etablierte Tradition des Klaviers knüpft auch Daniel García Diego an. Er wie streckenweise auch Lizana sind Schlüsselfiguren der aktuellen, zwischen Flamenco, Jazz und Latin vermittelnden Szene Madrids. Zusammen auf der Bühne sind die beiden am 1. 9. in Frankfurt am Main zu erleben; anschließend hat der Saxofonist Lizana im Trio-Verbund noch weitere Konzerttermine (u. a. Düsseldorf, 20. 9., Ludwigshafen, 29. 9., Augsburg, 30. 9., Murnau 14. 10.).

Die angesprochene Madrider Szene wird im Übrigen auch von zahllosen exzellenten kubanischen Musikern beeinflusst, von denen zwei, der Kontrabassist Reinier Elizarde „El Negrón“ und der Drummer Michael Olivera, wiederum zu Garcías Trio gehören. Auch diese betörende Crew ist bei uns zu erleben: bislang steht außer Kassel (14. 10.) noch ein Konzert in der Berliner Philharmonie (11. 11.) aus Anlass des 30. Geburtstages des deutschen Jazz- und Worldmusic-Labels ACT fest. Das renommierte Label ist auch die Heimstatt für die letzten zwei der insgesamt vier Alben von Daniel García Diego. Da stellt sich die Frage: Trennen Spanien und Deutschland wirklich zwei Ländergrenzen?

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