Gegen den fossilen Kapitalismus

Die Klimaaktivist*innen von Ende Gelände blockieren diesmal Infrastruktur und Logistik in Hamburg und Wilhelmshaven

Wasserwerfereinsatz bei "Ende Gelände"-Brückenblockade im Hamburger Hafen

Trotz Hitze keine Abkühlung: Wasser­werfereinsatz im Ham­burger Hafen Foto: AdoraPress/M. Golejews

Aus Hamburg M. Trammer, M. Schlegel

und J. Malkowski

Am Samstagmorgen brennt die Sonne auf den Hamburger Stadtteil Hausbruch nieder. Es sind sengende 30, gefühlte 40 Grad Celsius. Etwa 400 Aktivist*innen, in den für „Ende Gelände“ typischen Malanzügen mit goldenen Kappen, FFP2-Masken und Schirmen laufen die Neuwiedenthaler Straße entlang. Es ist einer von drei Protestzügen, die in Hamburg zu Aktionen unterwegs sind. Immer wieder muss die Gruppe anhalten, weil der Einsatzleiter in den Outfits Vermummung wittert.

Gegen 12 Uhr bog die Demonstration auf die Waltershofer Straße in Richtung Hafen ein. Die Polizei wollte eine Person in Gewahrsam nehmen. Die Ak­ti­vis­t*in­nen sprinteten aber einen Bahndamm hinauf. Po­li­zis­t*in­nen reagierten teils rabiat, warfen Leute die Böschung hinab und schlugen auf einige nieder. Der Großteil schafftte es dennoch auf die Schienen. An verschiedenen Stellen wurden Steine unter den Gleisen entfernt. Liv Roth, Pressesprecherin des kommunistischen „ums Ganze!“-Bündnis, sagte: „Mit der Blockade hier im Gleisbett ist ein neuralgischer Punkt unterbrochen.“ Auf den Schienen geht nichts mehr.

Die Klimagerechtigkeitsbewegung kann auf eine aktionsreiche Woche zurückblicken. Zwar kamen „nur“ etwa 2.000 Ak­ti­vis­t*in­nen zum Camp. Erwartet hatten die Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen bis zu 6.000 Personen. Aktionen gab es dennoch viele. Gleich zu Beginn der Woche, am Montag, seilten sich Ak­ti­vis­t*in­nen mit einem Banner von der Elbphilharmonie ab. Am Mittwoch gab es eine große Demonstration in der Hamburger Innenstadt. Ak­ti­vis­t*in­nen von „Extinction Rebellion“ färbten Brunnen im Stadtgebiet grün. Und auch das Hamburger Umland bezogen sie in ihren Aktionsradius ein. Am Donnerstag blockierten 40 Personen den Düngemittelhersteller Yara in Brunsbüttel. Etwa 300 Menschen gelang es am Freitag, die Baustelle eines LNG-Terminals in Wilhelmshaven zu blockieren.

Das Aktionsbündnis „Ende Gelände“ beschloss für dieses Jahr, neben der im Bau befindlichen Infrastruktur für Erdgas auch den Hafen als Symbol für die Logistik des fossilen Kapitalismus und Neokolonialismus ins Visier zu nehmen. Sachbeschädigung als Aktionsform wurde vom Bündnis explizit erlaubt und nach außen getragen. Das stellt ein Novum im Bündnis dar. In den vergangenen Jahren hatten sich die Beteiligten in dieser Frage noch nicht einigen können. Die Polizei versuchte Ausbrüche und Blockaden zu verhindern. Die schiere Masse schien die insgesamt 1.400 eingesetzten Be­am­t*in­nen vor Schwierigkeiten zu stellen. An vier Orten agierten die Ak­ti­vis­t*in­nen bei der Massenaktion am Samstag fast zeitgleich.

Als Erstes brachen Ak­ti­vis­t*in­nen des goldenen Fingers auf die Hauptschienenanbindung der Container-Terminals des Hamburger Hafens durch. Während diese Gruppe bereits nach einer Stunde mit Schmerzgriffen von den Schienen geräumt wurde, schaffte ein Teil des etwa 550 Personen starken pinken Ende-Gelände-Demozugs in Wilhelmsburg ebenfalls einen Durchbruch auf Gleise. Auch Luisa Neubauer war Teil dieser Gruppe, wie Bilder auf Twitter zeigen. Sie wurde aber nicht in Gewahrsam genommen, da sie nicht auf den Schienen war. Zeitgleich ketteten und klebten sich 16 Ak­ti­vis­t*in­nen von „Extinction Rebellion“ auf der Köhlbrandbrücke fest.

Bei der Massenaktion agierten die Ak­ti­vis­ten an vier Orten fast zeitgleich

Als Letztes erreichte der internationale lila Finger, mit Ak­ti­vis­t*in­nen aus Kolumbien, Italien, Finnland und Schweden, die Kattwyk-Hubbrücke direkt neben dem 2021 stillgelegten Kohlekraftwerk Moorburg. „Die Konzerne fordern, dass es wieder ans Netz gehen soll. Wir können ein starkes Zeichen setzen, dass wir für den Ausstieg aus der Kohle sind“, sagte die Ende-Gelände-Sprecherin Charly Dietz vor Ort. Ak­ti­vis­t*in­nen versuchten auf den linken Brückenteil zu gelangen, um diesen zu blockieren. Po­li­zis­t*in­nen schlugen mit Knüppeln auf die vorderen Reihen ein und sprühten Pfefferspray. Einige Ak­ti­vis­t*in­nen schafften es trotzdem auf die Schienen. Auf der Straße auf dem anderen Brückenteil stand eine Blockade von etwa 60 Ak­ti­vis­t*in­nen. Mit mehreren Wasserwerferen versuchte die Polizei die Versammlung aufzulösen. Nach zweieinhalb Stunde Blockade entschieden die Ak­ti­vis­t*in­nen zu gehen.

Die Polizei behauptete später, sie sei aus Reihen der De­mons­tran­t*in­nen mit Pfefferspray angegriffen worden. Bilder auf Twitter und ein Video des NDR legen dabei eher nahe, dass es sich um „friendly fire“ gehandelt haben könnte. Bilder dokumentieren dafür Kopfplatzwunden bei Ak­ti­vis­t*in­nen durch die Polizei. Die Räumung der Blockaden dauerte bis in die Samstagabendstunden.

Nach ersten Schätzungen der An­wäl­t*in­nen von Ende Gelände waren im Rahmen der Massenaktion 25 bis 30 Ak­ti­vis­t*in­nen zeitweise in drei unterschiedlichen Gefangenensammelstellen der Polizei Hamburg in Gewahrsam. Sie prüft mögliche Straftaten, zahlreiche Verfahren laufen bereits. Ob der Hafenbetrieb tatsächlich durch die Aktion gestört wurde, ist bis Redaktionsschluss unklar.