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50 Jahre jung geblieben

In seiner Dokumentation „Freie Räume“ erzählt Tobias Frindt die Geschichte der Jugendzentrumsbewegung. Zu sehen ist der Film auch im AJZ Neumünster. Das feiert dieses Jahr sein 50-jähriges Bestehen

Von Wilfried Hippen

In Neumünster feiert das AJZ, das „selbstverwaltete Kinder-, Jugend- und Kulturzentrum“, in diesen Wochen sein 50-jähriges Jubiläum. Und es ist immer noch ein Dorn im Auge der konservativen Kreise der Stadt. Im Jahr 2016 zog dort der NPD-Ratsherr Mark Proch vor das Haus und beschimpfte die Betreiber als „linke Krawallmacher und Kriminelle“, die „Autos anzünden, Wände beschmieren“, und das „mit unseren Steuergeldern“. So ähnlich wird es sich 1972 auch angehört haben. Die Jugendlichen im Zentrum sind also unbequem geblieben.

Zu sehen ist Mark Prochs Youtube-Auftritt in der Dokumentation „Freie Räume“ von Tobias Frindt, und wenn er ihn am 7. Juli selbst im AJZ vorstellen wird, gibt es an dieser Stelle garantiert ein großes Hallo.

Dabei erzählt der Mannheimer vor allem vom Jugendzentrum in seiner Heimatstadt, dem JUZ Friedrich Dürr, in dem der 1982 Geborene selber in seiner Jugend Stammgast war. Und am wichtigsten waren natürlich die Anfänge. So besteht etwa die Hälfte des 112 Minuten langen Films aus Archivaufnahmen und den Aussagen von Zeitzeug*innen, in denen von der Geburt der Bewegung in den frühen 1970er-Jahren erzählt wird.

„Es war die Antwort der Provinz auf die 68er“, sagt einer der damaligen Ak­ti­vis­t*in­nen und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Denn tatsächlich hatte die Jugendzentrumsbewegung in ihren Anfängen einen starken antiautoritären und antikapitalistischen Ansatz. Mit basisdemokratischen Strukturen wie Fachschaften und Vollversammlungen sollte auch eine Erziehung zu einer sozialistischen Gesellschaft geleistet werden. Und so erzählen die ersten Ak­ti­vis­t*in­nen der Bewegung heute auch, nicht selten mit einem selbstironischen Unterton, von ihren damaligen politischen Idealen.

Komplex und lebendig dokumentiert

Die Anfänge der Mannheimer Jugendzentrumsbewegung konnte Frindt so komplex und lebendig dokumentieren, weil er bei seinen Recherchen im Keller des Jugendzentrums Kisten mit Filmmaterial aus dieser Zeit fand. Er suchte und fand einige von denen, die in den Filmen zu sehen waren und so gibt es bei ihm ein paar Mal den immer wieder schönen Effekt, dass direkt von der Aufnahme eines oder einer Jugendlichen auf die gleiche, heute über 60 Jahre alte Person geschnitten wird. Dabei stört dann auch nicht weiter, dass in der ersten Hälfte des Films fast nur von der Entwicklung der Bewegung in Mannheim erzählt wird, denn ganz ähnlich begann es in Hannover, Bremen oder eben Neumünster.

Interessant ist, dass die Jugendzentrumsbewegung nicht mit den linken Hoffnungsträumen der 1970er-Jahre unterging. Jugendliche, die nach Freiräumen sowie kulturellen und politischen Alternativen suchten, hat es auch später wieder gegeben. Und so folgten die Ökos und Friedensbewegten, in den 1980er-Jahren kamen dann die Autonomen, die Skins und Punks, danach gab es die Hausbesetzerszene und in den 1990er-Jahren Antifa und Antirassismus.

Auch für diese Entwicklungen hat Frindt historische Originalaufnahmen und Zeitzeugen gefunden. Doch er war so klug, hier den Horizont des Films zu erweitern. Und so besuchte er auch Jugendzentren im Saarland, in Freiburg und im sächsischen Leisnig. Dass einige der Jugendzentren inzwischen vergitterte Türen und Fenster haben, weil es dort Angriffe von Neonazis gegeben hat, macht deutlich, dass die Jugendzentrumsbewegung auch heute noch Teil der politischen Auseinandersetzung ist.

„Freie Räume“, Regie Tobias Frindt, D 2019 112 Minuten; Infos: freieraeume-film.de; Vorführungen und Filmgespräche mit Tobias Frindt: Mi, 6. 7., 18 Uhr, Hamburg, Barboncino Zwölphi, und Do, 7. 7., 19 Uhr, Neumünster, AJZ

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