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Forschung in OldenburgGesponnene Messungen

Forschende aus Oldenburg haben erstmals Spinnennetze zur Messung von Mikroplastik in der Luft eingesetzt. Sie fanden Reifenabrieb und Textilfasern.

Untersuchungsobjekt: Nicht nur Wasser fängt sich in Spinnennetzen, sondern auch Plastikteilchen Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Bremen taz | Es sind Kunstwerke, in stundenlanger Beinarbeit mit vielen Metern Baustoff sorgfältig konstruiert, dennoch ständig achtlos oder gar mutwillig zerstört – dabei sind Spinnennetze und ihre Erbauerinnen unheimlich nützlich. Jährlich fressen Spinnen mehr Fleisch als Menschen. Ohne sie würden uns Horden von Insekten die Felder leer ­fressen oder mit Krankheiten infizieren.

Die Netze von Spinnen fangen durch ihre klebrigen Fäden aber nicht nur Insekten auf – sondern alles Mögliche, was durch die Luft fliegt. Dass dabei auch Schadstoffe hängen bleiben, haben sich Forschende am Institut für Chemie und Biologie des Meeres an der Universität Oldenburg nun zunutze gemacht. In einer neuen Studie haben sie zum ersten Mal die Konzentration und Zusammensetzung von Mikroplastik in der Luft mithilfe von Spinnennetzen gemessen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Science of the Total Environment veröffentlicht.

„Unsere Studie könnte eine sehr praktikable Screening­methode sein“, sagt Barbara Scholz-Böttcher, Geochemikerin und Leiterin der Studie. Die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen sammelten die Netze an Bushaltestellen unterschiedlich stark befahrener Straßen in Oldenburg. Dort seien die Netze in Kontakt mit der Luft, witterungsgeschützt und hingen in einer vergleichbaren Höhe – ungefähr im Atembereich von Menschen, erklärt Scholz-Böttcher.

Im Labor wurden die Teilchen in den Netzen mit Mikroskop und Massenspektrometer untersucht. Ein Großteil von ihnen bestand aus dem Stoff TWP (kurz für „Tire Wear Particles“), der aus Reifenabrieb stammt. Neben vielen anderen Kunststoffen fanden die Forschenden auch Polyethylenterephthalat, kurz PET, das in einem Fall fast neun Prozent des Gesamtgewichts des Netzes darstellte. Das PET stammt vermutlich nicht aus alten Einwegflaschen, sondern aus Mikrofasern in Kleidung oder Reinigungsfasern.

Die Messung in der Luft fängt gerade erst an

Je nach Standort der Bushäuschen unterscheidet sich auch die Zusammensetzung der Kunststoffe im Netz, erklärt Scholz-Böttcher. „TWP dominiert vor allem nahe stark befahrener Straßen und nimmt in Wohngebieten sehr stark ab. Dort dominiert PET.“ Hiervon und auch von der Menge an PET sei sie selbst überrascht gewesen, sagt die Mikroplastik-Expertin, die 2019 in einer anderen Studie das kulinarisch geschätzte „Fleur de Sel“ untersuchte. In sämtlichen Proben fanden die Forschenden dabei Mikroplastik in weitaus höheren Konzentrationen als in üblichem Kochsalz.

Kunststoffe werden in der Umwelt kaum abgebaut, stattdessen werden die Teile immer kleiner. Bisher wird Mikroplastik vor allem in Gewässern und zunehmend auch in Böden untersucht. Die Messung von Mikroplastik in der Luft fange gerade erst an, erklärt Ulrike Braun, Chemikerin am Umweltbundesamt. „Man merkt, dass sich in diesem Bereich gerade etwas verschiebt.“ Studien, die Mikroplastik auch in entlegenen Gebieten wie der Arktis oder den Alpen nachweisen, zeigen, dass die Partikel über die Luft weite Strecken zurücklegen können. Ulrike Braun nennt als Beispiel den Saharastaub: „Wenn der es bis zu uns schafft, schaffen das diese Partikel auch.“

Die Forschenden aus Oldenburg sehen in ihrer ungewöhnlichen Methode eine kostengünstige und schnelle Art von Biomonitoring

Wie genau Mikroplastik auf unseren Körper wirkt, ist bisher noch unklar. Einen pauschalen Grund zur Panik sieht die Chemikerin aber nicht: „Kunststoff ist ein extrem wichtiges Material. Das Problem liegt darin, wie wir ihn nutzen.“ Immerhin können Kläranlagen in Deutschland die Plastikpartikel im Vergleich zu Arzneimitteln oder Bioziden verhältnismäßig gut filtern.

Ob in Oldenburg besonders viel Mikroplastik herumfliegt, bleibt unklar. Von einem Routine-­Monitoring der Luft ist man noch weit entfernt. Das liegt auch an der Technik: „Es wird unterschätzt, wie aufwendig diese Messung ist“, sagt Ulrike Braun. Messungen zum Beispiel von Feinstaub in der Luft werden mit Messgeräten durchgeführt, bei der Luft über einen Glasfaserfilter gepumpt wird und anschließend die Masse und gegebenenfalls die Art der Partikel bestimmt werden. „Bisher passiert das aber nur im akademischen Bereich, um zu prüfen, was überhaupt möglich ist“, erklärt Braun.

Universitäre Forschung würde unter ganz anderen Voraussetzungen und oft mit viel mehr Zeit stattfinden als normierte Überwachungsverfahren das können müssten.

Kostengünstige und schnelle Art von Biomonitoring

„Es kommt quasi auf den Kunden der Messung an“, sagt Braun, die in diesem Punkt auch die größte Schwäche der Spinnennetze sieht. Denn solange man die ausgewerteten Netze nicht zu einem validierten Probenahme-Verfahren überführen kann, seien diese keine Basis für die Rechts- und Regelsetzung – den „Kunden“ im Umweltschutz. Trotzdem müsse man die Ergebnisse aus Oldenburg sehr ernst nehmen, sagt Ulrike Braun. Ein über den Daumen gepeiltes Verfahren könne systematisch und flächendeckend eingesetzt in einer ersten Stufe sinnvoll sein.

Und es gibt noch ganz andere Schwierigkeiten, egal ob Maschine oder Spinnennetz: Bei der Messung von Partikeln in der Luft laufen Forschende immer Gefahr, dass die Raumluft im Labor trotz aller Vorsicht die Proben verfälscht. „Grundsätzlich sind alle Chemikalien und Geräte ultrafiltriert und gereinigt“, erklärt Barbara Scholz-Böttcher. Kleidung aus Kunststoff sei im Labor tabu. Parallel zu den Proben werden außerdem sogenannte Laborblindwerte erhoben und anschließend im Ergebnis verrechnet.

Die Forschenden aus Oldenburg sehen in ihrer ungewöhnlichen Methode eine kostengünstige und schnelle Art von Biomonitoring. „Die Spinnennetze sind eine Art Spiegel“, sagt Scholz-Böttcher. „Sie sammeln Partikel aus der Luft unselektiv, geben also die relative Zusammensetzung der Mikroplastik-Partikel dort wieder. Außerdem lassen sie sich sehr gut untereinander vergleichen.“

Nicht nur unterschiedliche Orte, sondern auch zeitliche Trends könnten laut Scholz-Böttcher so gemessen werden. Dennoch sieht die Forscherin auch die Vorteile etablier­ter Techniken, um die Luft auf Schadstoffe zu untersuchen: „Aus meiner Sicht wäre eine Kombination sinnvoll.“

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