Sonnige Aussichten

Jahrzehntelang sind Solarzellen aus Silizium optimiert worden, mehr geht nicht.
Bald könnten Photovoltaik-Anlagen trotzdem effizienter werden – dank eines einfachen Tricks

Auf das Lichtspektrum kommt es an: Herkömm­liche Solarzellen können nur das Licht in einem bestimmten Wellenlängenbereich optimal nutzen. Bei den Perowskit-Zellen ist das anders Foto: Ulrich Zillmann/Foto Medien Service/picture alliance

Von Bernward Janzing

An einem bestimmten Punkt ist die Silizium-Solarzelle ausgereizt. Und zwar bei exakt 29,4 Prozent. Ein höherer Wirkungsgrad ist physikalisch nicht drin. Im Labor ist man diesem mit 26,7 Prozent schon recht nahe. Aber auch in der Serienfertigung erreichen die Zellen bereits eine Ausbeute um die 24 Prozent. Die Entwicklung besserer Zellen war lange Zeit erstaunlich stetig, fast berechenbar: Um etwa 0,6 Prozentpunkte im Jahr ist die Ausbeute der industriell gefertigten Zellen gesteigert worden, heißt es am Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg. Doch nun wird die Luft für weitere Fortschritte der Siliziumtechnik dünn.

Angesichts ambitionierter Klimaziele kann man sich damit aber nicht zufriedengeben. Das Ziel, den Anteil des Solarstroms am Strommix deutlich zu steigern, wird umso leichter erreichbar, je effizienter die verfügbaren Flächen genutzt werden. Im vergangenen Jahr deckte die Photovoltaik in Deutschland knapp 9 Prozent des Stromverbrauchs.

Vor allem eine Technik ist für die Branche vielversprechend: die Perowskite. Das ist eine Stoffklasse, die eine unermessliche Anzahl verschiedener Substanzen umfasst, die alle eines gemeinsam haben: ihre Kristallstruktur. Sie sind in der Lage, die Solarzelle weit über das Effizienzlimit der klassischen Siliziumzelle zu heben.

Der Trick ist in der Theorie banal. Während eine einfache Solarzelle nur das Licht in einem bestimmten Wellenlängenbereich – also einen selektiven Farbanteil – optimal nutzen kann, lässt sich eine Zelle mit einer zweiten Halbleiterschicht so optimieren, dass jede Ebene einen anderen Teil des Lichtspektrums bestmöglich in Strom ummünzt. Man spricht dann von Tandemzellen.

Die heutigen Perowskit-Zellen verfügen über eine solche Doppelstruktur. Sie bestehen aus einer 140 bis 160 Mikrometer dicken klassischen Siliziumscheibe, auf die man eine Perowskitschicht von wenigen Mikrometern aufbringt. Technisch machbar sind noch viel mehr Lagen von Halbleitern, das Freiburger Fraunhofer-Institut testet in seinem neuen Zentrum für höchsteffiziente Solarzellen schon bis zu acht aktive Schichten übereinander, teils sind die nur ein paar Atomlagen dick.

Stoffe mit Perowskit-Struktur – Perowskit ist ursprünglich der Name des natürlichen Minerals Kalziumtitanat – sind schon lange bekannt. In den 1980er Jahren waren sie die Basis für die Weiterentwicklung sogenannter Supraleiter. Also Materialien, die praktisch keinen elektrischen Widerstand haben und deshalb verlustfrei Strom leiten können. Die Photovoltaik entdeckte die Perowskite erst spät, dann aber waren die Fortschritte atemberaubend.

Der führende Wissenschaftler im Metier der Perowskite ist Henry Snaith, Physiker an der Universität Oxford. Er hält heute grundlegende Patente rund um die Perowskite und ist Mitbegründer des Unternehmens Oxford PV. In Deutschland arbeitet vor allem das Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) zu diesem Thema. Es verfügt seit November 2021 sogar über den Effizienz-Weltrekord für Perowskit-Silizium-Tandemzellen mit 29,8 Prozent. Zuvor hatte Oxford PV diesen Rekord gehalten – mit 29,52 Prozent. Das sind Zahlen, die nicht nur das Kopf-an-Kopf-Rennen um die prestigeträchtige 30-Prozent-Marke deutlich machen, sondern auch belegen, dass die klassische Siliziumzelle im Labor längst das Nachsehen hat.

Und in der Industrie? Das deutsch-südkoreanische Unternehmen Q Cells verkündete im März zusammen mit dem HZB, eine serienreife Tandemzelle mit 28,7 Prozent Wirkungsgrad gefertigt zu haben. Nun will Q Cells an seinem Standort in Sachsen-Anhalt 125 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung investieren, wovon „ein beträchtlicher Teil“ für die Kommerzialisierung der Perowskit-Zelle aufgebracht werden soll. HZB-Gruppenleiter Steve Albrecht äußerte sich zuversichtlich, dass die Tandemtechnologie den Photovoltaik-Markt „schnell revolutionieren“ könnte.

Für das eigene Dach gibt es Solarzellen aus Perowskit wohl erst in ein paar Jahren zu kaufen

Noch einen Schritt weiter ist Oxford PV. Das Unternehmen will schon bald in Brandenburg an der Havel Perowskit-Zellen in Serie fertigen. Seit 2017 besteht dort eine Pilotfertigung, im vergangenen Sommer teilte das Unternehmen mit, der Aufbau der Produktionsstätte sei abgeschlossen. Man bereite sich darauf vor, die „Mission zu verwirklichen, Perowskit-PV als Mainstream-Solartechnologie zu etablieren“. Für den Start strebt das Unternehmen eine jährliche Produktionskapazität von 100 Megawatt an – das wären etwa 2 Prozent des letztjährigen Photovoltaikzubaus in Deutschland.

Anfang 2023 werde man die ersten Zellen ausliefern, sagt Frank Averdung, Chef von Oxford PV. Eigentlich war der Start schon für 2021 geplant, doch dann gab es Verzögerungen durch die Pandemie und die Störungen in den Lieferketten. Für den Anfang rechnet das Unternehmen mit einem Wirkungsgrad ihrer Zellen von 27 Prozent. Anschließend hofft sie, die Stromausbeute binnen zwei Jahren auf 29 Prozent steigern zu können.Bei 27 Prozent Zelleffizienz ergibt sich ein Modulwirkungsgrad von 24,5 bis 25 Prozent, weil durch die Verschaltung der Zellen zu Modulen etwas Ertrag verloren geht. Das ist bei der heutigen Siliziumtechnik nicht anders. Die Module wird Oxford PV ohnehin nicht bauen, das werden andere tun. Aber weil die neuen Zellen dieselben Maße haben wie die Klassiker, dürften die Modulbauer ihre Fertigung recht einfach umstellen können.

Von einer „extrem schnellen Lernkurve“ spricht Averdung. Tatsächlich wird erst seit Ende der 2000er-Jahre an Perowskit-Solarzellen geforscht. Die Siliziumzelle, die man seit 1954 kennt, hat bis zum heutigen Entwicklungsstand immerhin 68 Jahre gebraucht.

Ein Grund für das Tempo – und das weitere Potenzial – bei der Perowskit-Forschung ist die unermessliche Vielzahl an Substanzen mit entsprechender Kristallstruktur. Am HZB werden unterschiedliche Perowskite bereits automatisiert auf ihre Eigenschaften getestet. Möglich, dass so neue Stoffe entdeckt werden, die noch geeigneter für den Einsatz in der Photovoltaik sind.

Zwei Fragen stehen nun im Raum. Erstens: Was werden Perowskit-Zellen kosten? Und zweitens: Wie langlebig werden sie sein? Die Zellen werden, rechnet Frank Averdung von Oxford PV vor, pro Stück auch künftig teurer sein als die reinen Siliziumzellen. Zwar bringen sie auch mehr Leistung als einfache Siliziumzellen, aber auch pro Watt werden die Zellen alleine betrachtet wohl teurer bleiben.

Das aber sei gar nicht so entscheidend, weil die Zellen an den Gesamtkosten einer fertig installierten Solaranlage nur einen Anteil von 12 Prozent ausmachten. Das führe dann zu folgendem Effekt: Weil die Zellen effizienter sind, braucht man für die gleiche Leistung weniger Modulfläche. Das bedeutet: Weniger Modulmaterial – zum Beispiel Glas –, weniger Befestigungselemente, weniger Arbeitsstunden bei der Montage. In der Summe werde dann die erzeugte Kilowattstunde trotz teurerer Zellen billiger.

Unklar war in der Anfangszeit die Lebensdauer. Kritiker fürchteten, die neue Technik könne an diesem Punkt scheitern. Doch inzwischen versichert man bei Oxford PV, die Module hielten die branchenüblichen 30 Jahre lang stand. „Im Bereich der beschleunigten Alterungstests gibt es sehr viel Forschung“, sagt auch Eva Unger, Wissenschaftlerin am HZB. Dabei besteht eine Herausforderung darin, dass die unterschiedlichen Perowskite je nach chemischer Zusammensetzung sehr unterschiedlich stabil sein können. Man muss also jede neue Substanz neu bewerten.

So sieht die Zukunft aus: Bei Oxford PV werden Perowskit-Solarzellen hergestellt Foto: Michael Jungblut

Solche Tests der langfristigen Beständigkeit macht auch das Forschungszentrum Jülich (FZJ). Frühen Perowskit-Zellen habe „man beim Altern regelrecht zuschauen“ können, berichtet das Institut, der Wirkungsgrad sei „innerhalb von Sekunden oder Minuten nach dem Anschalten der Beleuchtung im Labor“ gesunken. Inzwischen aber habe man in Jülich Zellen 1.450 Stunden lang erhöhten Temperaturen um 65 Grad ausgesetzt und am Ende habe der Wirkungsgrad immer noch 99 Prozent des anfänglichen Wertes erreicht. „Die Perowskit-Solarzelle, die wir jetzt entwickelt haben, könnte unter normalen Umständen sicherlich schon über 20.000 Betriebsstunden betrieben werden“, sagt FZJ-Werkstoffwissenschaftler Christoph Brabec.

HZB-Forscherin Unger vermutet gleichwohl, dass für den Einsatz auf dem privaten Dach Module mit dem neuen Zelltyp frühestens in drei bis fünf Jahren zu kaufen gebe. Im Freifeld werde man sie vermutlich eher sehen, wo man sowohl die Beständigkeit der Zellen wie auch die spätere Entsorgung besser kontrollieren kann.

Denn auch die nachhaltige Produktion spielt bei der Entwicklung eine Rolle. Als die leistungsstärksten und stabilsten Perowskite gelten heute nämlich solche mit Blei. Könnte das die Akzeptanz der Technik behindern? HZB-Wissenschaftlerin Unger weiß, dass dies „ein sehr emotionales Thema“ ist. Aber sie weiß auch: „Das sind extrem geringe Mengen.“ Zudem sei das Schwermetall fest in den Kristallen gebunden, weshalb es erst am Ende der Lebensdauer des Moduls wirklich relevant werde – also bei der Frage des Recyclings.

Doch vielleicht wird das Blei schnell Geschichte sein, schließlich gebe es noch sehr viele neue Materialien, aus denen Perowskit-Kristalle hergestellt werden können, sagt Chemikerin Unger. Eines dürfte aber sicher sein: Die Stoffgruppe der Perowskite wird noch für manche Überraschung gut sein.