Türkische Journalisten in Schweden: Puzzleteile in Erdoğans Spiel

Unter türkischen Journalisten in Schweden wächst die Furcht, ausgeliefert zu werden. Reporter ohne Grenzen appelliert nun an Stockholm.

Bülent Keneş in blauem Hemd sitzt an einem Tisch, gefaltete Hände

Bülent Keneş am Tag nach seiner Freilassung aus dem türkischen Gefängnis im Jahr 2015 Foto: Eva West/Polaris/ddp

STOCKHOLM taz | „Wenn ich ausgeliefert werde, sehe ich die Sonne nicht mehr“, glaubt Bülent Keneş. Der 53-jährige türkische Journalist lebt seit 2016 im schwedischen Exil. Sein Name steht auf der Liste der angeblichen Terroristen, von deren Auslieferung der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan seine Zustimmung zum schwedischen Nato-Beitrittsantrag abhängig machen will.

Keneş hatte unter anderem von 1994 bis Ende 2015 für Zaman, einer Zeitung der Gülen-Bewegung, gearbeitet und war zwischendurch Chefredakteur der englischsprachigen Ausgabe. Wegen Beleidigung Erdoğans in einem Tweet war er im Oktober 2015 zeitweise im Gefängnis. Nach dem Putschversuch von 2016, der der Gülen-Bewegung zugeschrieben wurde, hatte die Staatsanwaltschaft gegen ihn eine verschärfte lebenslange Haftstrafe beantragt. Er befand sich damals aber bereits im Ausland.

„Normalerweise hätte ich nie daran gedacht, ausgeliefert werden zu können“, sagt der Mitbegründer des Europäischen Zentrums für Populismusstudien, der nach eigenen Angaben schon im Februar vom schwedischen Verfassungsschutz über einen türkischen Auslieferungsantrag informiert worden war: „Und ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich das auch nicht befürchte. Aber so ist es leider nicht.“

Dönmez berichtet von einem Überfall im März

Er und andere im schwedischen Exil lebende Journalisten seien mittlerweile „zu einem Puzzleteil in einem politischen Spiel“ geworden. „Ich bin verzweifelt“, sagte er, zu Gast beim norwegischen Fernsehsender TV 2.

Auch Ahmet Dönmez, wie Keneş ehemaliger Mitarbeiter bei Zaman, hofft, dass Schweden nicht nachgibt. Erdoğan stehe wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage in der Türkei unter Druck. Und im nächsten Jahr ist Wahl. Da versuche er jetzt, mit der Blockade des Nato-Beitritts Schwedens „ein Kaninchen aus dem Zylinder zu zaubern“, sagt Dönmez. Man könne die schwedische Regierung nur dringend warnen, solchen Erpressungsversuchen nachzugeben. Erdoğan würde das nur ermutigen, seine Repressionen weiter zu verstärken.

Dönmez lebt seit sechs Jahren in Schweden und hat auf brutale Art erfahren müssen, dass sein Exil nicht so sicher ist, wie er immer glaubte. An einem Freitagnachmittag Mitte März holte der 44-jährige seine Tochter von der Vorschule in Botkyrka, einer südlich von Stockholm liegenden Gemeinde, ab. Auf einer ruhigen Vorortstraße ein paar hundert Meter von ihrem Wohnhaus entfernt soll ein anderes Auto seinen Wagen blockiert und ihn so an der Weiterfahrt gehindert haben.

Als Dönmez ausstieg, hätten ihn zwei Männer nach einem kurzen Wortwechsel zusammengeschlagen und schon auf dem Boden liegend gegen den Kopf getreten. Passanten entdeckten den Bewusstlosen, alarmierten die Ambulanz, er musste wegen seiner Kopfverletzungen mehrere Wochen im Krankenhaus behandelt werden und ist immer noch nicht vollständig genesen.

Schweden darf Erdoğans Forderungen nicht erfüllen

Wenige Stunden nach dem Überfall wurden in sozialen Medien Fotos der Tat veröffentlicht, die vermeintlich von den Tätern stammten. Dazu steht auf Türkisch, dass als nächstes „die Drecksäcke der FETÖ“ dran seien. „FETÖ“ bezeichnet die von der Türkei als Terrororganisation eingestufte islamischen Bewegung von Fethullah Gülen. Morddrohungen habe Dönmez schon früher erhalten, seine Anzeigen blieben bisher ohne Ergebnis. Genau wie die Ermittlungen zum Überfall im März.

Dönmez ist sich sicher, dass nicht nur er habe eingeschüchtert werden sollen, sondern alle Regimekritiker, die sich im Ausland befänden. Er fragt sich: „Ist Schweden immer noch die Insel der Freiheit für alle Journalisten, die hierher geflohen sind, weit weg von Erdoğan und seinen langen Armen?“

Schweden dürfe unter keinen Umständen Erdoğans Auslieferungsforderungen nachkommen, schreibt auch die schwedische Sektion von Reporter ohne Grenzen in einem Aufruf. Namhafte JournalistInnen erinnern darin an die Angriffe auf den ehemaligen Cumhuriyet-Chefredakteur Can Dündar in Istanbul und den in Berlin lebenden Erk Acarer. Meinungsfreiheit sei nicht verhandelbar.

Beunruhigend ist, wie weit Schweden in der Vergangenheit zu gehen bereit war, wenn es um die Auslieferung vermeintlicher Terrorverdächtiger ging. 2001 entschied die schwedische Regierung, die Asylsuchenden Ahmed Agiza und Mohammad al-Zery in ihr Heimatland Ägypten abzuschieben. Dort waren sie zuvor in Abwesenheit im Rahmen einer Massenverhandlung wegen angeblicher Terroraktionen zu langen Gefängnisstrafen verurteilt worden. Der Beschluss für die Abschiebung war auf höchster politischer Ebene gefasst worden und verletzte schwedisches Recht.

Manche fordern, den Beitrittsantrag zurückzunehmen

Das Anti-Folter-Komitee der Vereinten Nationen verurteilte Schweden und zahlte Jahre später beiden Männern Schadenersatz. Die Auslieferung gilt als einer der größten Rechtsskandale des Landes.

Mittlerweile fordern manche Stimmen, Stockholm solle den Beitrittsantrag zurückziehen. In der ansonsten Nato-freundlichen konservativen Stockholmer Tageszeitung Svenska Dagbladet begründet ein Leitartikel dies mit der unklaren Ausrichtung der Militärallianz. Was wolle sie sein?: „Eine verteidigungsstrategische Abmachung rein technischen Charakters mit einem willkürlich zusammengewürfeltem Haufen von Mitgliedern oder eine Vereinigung, die das Ziel hat, liberale Werte zu schützen.“

Solange es innerhalb der Nato fundamentale Uneinigkeit über solche prinzipiellen Fragen gebe, bestehe ansonsten ständig das Risiko neuer Erpressungsversuche. Man könne keinesfalls ausschließen, dass die Türkei jedes Mal, wenn Schweden militärische Hilfe brauche, erneut die Auslieferung Oppositioneller fordere. Und gleichermaßen könne sich ja auch Schweden verhalten und einen Einsatz beispielsweise von der Gewährung autonomer Rechte für die Kurden abhängig machen. Allein schon der Selbstrespekt gebiete es, den Antrag zurückzunehmen, meint das Blatt: Anstatt sich noch weiter von Erdoğan erniedrigen zu lassen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.