„Es sollen ja wieder Wildvögel werden“

140 Jahre nach ihrer Ausrottung sind 2021 zum ersten Mal zwei Bartgeier ausgewildert worden. Jetzt ist einer von ihnen gestorben. Projektleiter Wegscheider ist überrascht

Wally bei einem ihrer frühen Flüge über dem Nationalpark Berchtes­gaden Foto: Michael Wittmann/Landesbund für Vogelschutz/dpa

Interview Dominik Baur

taz: Wally ist tot. Wann haben Sie es erfahren?

Toni Wegscheider: Am Samstagnachmittag habe ich einen Anruf der Kollegen des LBV-Suchtrupps (Landesbund für Vogelschutz Bayern, Anm. d. Red.) vor Ort bekommen. Wir hatten schon seit Tagen in der Gegend gesucht, aus der wir das letzte Sendersignal erhalten hatten. Das war am Südhang des Mauerschartenkopfs im Wettersteingebirge, etwa auf 1.500 Meter Höhe. Seit 16. April hat sich der Sender ja nicht mehr bewegt. Leider haben wir dann aber nicht nur den Sender, sondern auch die Reste von Wally vorgefunden. Also das, was Kolkraben, Füchse und Co. noch von ihr übrig gelassen haben: den Großteil des Skeletts und des Gefieders.

Wie haben Sie auf die Nachricht reagiert?

Es hat mich schon ganz schön mitgenommen – gerade auch, weil es so unerwartet kam. Eigentlich waren wir fest davon ausgegangen, dass wir nur den Sender finden. Der hat ja eine Sollbruchstelle, so dass er für gewöhnlich nach ein paar Jahren abfällt. In diesem Fall dachten wir halt, Wally hätte ihn schon früher verloren.

Vor ziemlich exakt einem Jahr haben Sie Wally und Bavaria, ein weiteres Bartgeierjunges, im Nationalpark Berchtesgaden ausgewildert. Es handelte sich um die erste Auswilderung von Bartgeiern auf deutschem Boden. Und eigentlich war doch alles ganz gut gelaufen?

Es hätte nicht besser laufen können. Ich bin immer wieder gefragt worden: Gibt es noch etwas, was ihr verbessern könnt? Aber ich wüsste nicht, was – außer vielleicht so Kleinigkeiten wie die Einstellung des Winkels der Webcam. Die beiden Geier waren topfit und selbstständig.

Am Anfang haben mussten Sie ja die beiden noch mit Futter versorgen.

Das stimmt, aber schon seit Oktober vergangenen Jahres haben sie diese Futterplätze gar nicht mehr angeflogen. Sie haben beide stattdessen selber genügend Aas gefunden.

Wally war 13 Monate alt. Kommt es oft vor, dass Bartgeier in diesem Alter sterben?

Foto:  Foto: privat

Toni Wegscheider, 43, ist Biologe und leitet das Bartgeier-Auswilderungsprojekt des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) im Nationalpark Berchtes­gaden.

Man weiß es gar nicht so genau, weil wir bei den meisten Bartgeiern im Alpenraum gar nicht mitbekommen, in welchem Alter sie sterben. Wir vermuten aber, dass die Sterblichkeit der jungen Geier vergleichsweise niedrig ist. Seit 2008 werden die Tiere vor der Auswilderung besendert. Und von diesen Tieren wissen wir, dass 88 Prozent schon mal das kritische erste Jahr überlebt haben. Aber das ist natürlich nur eine relativ kleine Gruppe, über die wir wirklich verlässliche Zahlen haben.

Was für Todesursachen sind denkbar?

Ich will da gar nicht spekulieren. Soweit wir das beurteilen können, sind jedenfalls keine menschlichen Gefahrenquellen in der Umgebung. Das ist ja ein völlig verlassenes Naturschutzgebiet. Da sind beispielsweise keine Seilbahnkabel, die ihr zum Verhängnis hätten werden können. Auch für Wilderer ist das Terrain dort viel zu unzugänglich. Aber es sind schon die unterschiedlichsten Todesursachen bei Bartgeiern nachgewiesen worden: Da sind Tiere in der Luft beim Kampf von Steinadlern getötet, von einer Kreuzotter gebissen oder von einer Lawine verschüttet worden. Oder sie haben eine Bleivergiftung erlitten, weil die Gams, deren Aas sie gefressen haben, mit bleihaltiger Munition geschossen worden ist.

Gab es Anzeichen, dass sie krank gewesen sein könnte?

Nein, alles deutete daraufhin, dass sie in einer Topkondition war. Und in den letzten zwei Tagen hat sie ja noch 380 Kilometer zurückgelegt. Das macht kein Geier, der krank oder verletzt ist oder hungert. Da werden die Bewegungsradien eher kleiner.

Wird man die Todesursache herausfinden können?

Ich glaube, die Chancen stehen gar nicht so schlecht. Es gibt zwar kein Weichgewebe mehr, das man untersuchen kann, aber auch an den Knochen könnte man beispielsweise Verletzungen durch eine Adlerkralle feststellen.

„Es wird immer welche geben, die überleben, und welche, die es nicht schaffen“

Toni Wegscheider

Wird man aus Wallys Schicksal etwas für künftige Auswilderungen lernen können?

Natürlich ist für uns jetzt das Ergebnis dieser Untersuchung sehr wichtig. Sollte sich da beispielsweise doch eine menschliche Ursache nachweisen lassen, müsste man überlegen, was für Konsequenzen man daraus ziehen kann und muss. Ich rechne aber eher nicht damit. Und dann muss man halt auch sehen: Irgendwann haben wir keine Einflussmöglichkeiten mehr. Und so soll es auch sein. Es sollen ja wieder Wildvögel werden. Und da wird es immer wieder welche geben, die überleben, und welche, die es leider nicht schaffen.

Schon nächste Woche, am 9. Juni, werden Sie am selben Ort wieder zwei Bartgeier auswildern. Wer sind die beiden?

Es sind wieder zwei Weibchen. Wie Wally und Bavaria kommen sie aus der Zuchtstation Guadalentín. Das eine ist eine Schwester von Wally, das andere eine Cousine von Bavaria. Am Montag sind sie im Nürnberger Tiergarten angekommen. Von dort kommen sie nächste Woche zu uns in den Nationalpark.