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Von wilden und nicht ganz so wilden Arbeitskämpfen

Deutsch-gemütliche Gewerkschaftsfotografie und rauer britischer Sozialrealismus: die Fotoausstellung „Streik!“ im Hamburger Museum der Arbeit im Rahmen der Phototriennale

Von Frank Keil

Sieh, an: der Wolf Biermann. Jung und frisch, gut gelaunt und mit dichtem Schnurrbart ist er auf „Solidaritätsbesuch“, wie die Bildlegende verrät. Man sieht sofort: Was zu sehen ist, ist lange her! Im Frühjahr 1982 war es, da sickerte durch, dass die Hamburger Howaldswerke Deutsche Werft auf Dauer abgewickelt werden sollen. Und ein solider Proteststurm erhebt sich in der Hansestadt bis hinein ins Rathaus, von wegen Ende einer Traditionswerft, das könne doch nicht sein, schon gar nicht so schlecht kommuniziert. Fotografiert hat seinerzeit der Hamburger Fotograf Hinrich Schultze, Teil der von Günter Zint gegründeten Fotoagentur Panfoto und später Fotoredakteur der einstigen taz Hamburg.

Seine Arbeiten, die mit einer gewissen, manchmal fast schelmischen Leichtigkeit durch das am Ende erfolglose Geschehen führen, sind einer der Höhepunkte in der thematischen Gruppenausstellung „Streik!“ im Hamburger Museum der Arbeit. Versprochen sind dabei laut Untertitel „Fotogeschichten von Arbeitskämpfen“.

Und es beginnt mit dem ersten großen Streik in der Geschichte der Bundesrepublik: die Zechenschließungen im Ruhrgebiet Mitte der 1960er-Jahre, als das Versprechen ewigen Wachstums kassiert wird und wo hernach noch sehr ernst wirkende Männer mit Hüten und in Mänteln wohlgeordnet durch die Straßen ziehen. Mit dabei ist auch der große Streik der Arbeiter der Krupp-Stahlhütte in Duisburg-Rheinhausen im Winter 1987, inklusive Werksbesetzung, Rhein-Brücken-Blockade und Grönemeyer-Auftritt. Fotos gibt es auch vom sogenannten wilden Streik beim Automobilkonzern Ford in Köln-Niehl 1973, als die meist türkischstämmigen Werkarbeiter längere und vor allem flexiblere Urlaubszeiten erstreiten wollten, damit sich die Urlaubsreisen in ihre einstige Heimat überhaupt realisieren ließen.

Stuart hat sich das Geburts- und das Todesdatum seiner Frau quer über die Brust tätowieren lassen, dazu den Slogan „Simply the best“

Es waren Streiks, die seinerzeit auf wenig Verständnis etwa bei der IG Metall stießen und noch weniger bei den deutschen Kollegen, von denen schließlich einige zusammen mit der Geschäftsführung und der Werksleitung gewaltsam gegen die Streikenden vorgingen: Heute – so ändern sich die Zeiten, weil sich die Blickwinkel geändert und vor allem erweitert haben – würde man diese Auseinandersetzungen im Kontext von Rassismus und Diskriminierung betrachten.

Und so schlendert man nicht immer zufrieden, weil nicht immer vom Fotografischen her so ganz überzeugt durch die Ausstellung. Schließlich ist diese nicht eine reguläre Schau des Hauses, sondern Teil wie Beitrag der aktuellen und sommerumspannenden Triennale der Photographie in Hamburg, die sich einer grundsätzlichen Thematisierung wie Dechiffrierung von Bild-Ästhetiken und Bildwirkungen verschrieben hat. Sie will also mehr, als nur Dokumentiertes noch einmal zu dokumentieren.

Dann landet man schließlich in jener Ecke der Ausstellung, die sich dem Streik der Kohlearbeiter im Großbritannien Margaret Thatchers mit seiner neoliberalen Wirtschaftspolitik widmet: Ein Jahr lang vom März 1984 an sollten die Arbeiter und die sie unterstützenden Ehefrauen und Partnerinnen versuchen, sich gegen den fast vollständigen Abbau der Kohleindustrie wie gegen die Abschaffung grundsätzlicher Arbeiter:innen-Rechte zu stemmen, bis dieser genuin politische Streik erfolglos ausläuft und aufgegeben wird. Nicht zuletzt, weil die großen britischen Gewerkschaften ihre Unterstützung versagten und es schließlich nicht an Streikbrechern mangelt – ein Tabu in der Gewerkschaftswelt.

Genau dies erzählen die rauen Dokumentararbeiten von John Harris und John Sturrock, die ungeschönt, direkt und risikobereit das Geschehen aufarbeiten und deren Ergebnisse vom Bildnerischen her so wenig mit der oft kreuzbraven Dokumentarfotografie aus dem deutsch-gemütlichen Gewerkschaftsumfeld zu tun haben, wo sich die Akteure immer wieder aufs Neue unter dem Stoffbanner versammeln und ergeben gemeinsam aufgereiht in die Kamera schauen.

Das gilt noch einmal mehr für die kraftvoll-subjektiven Arbeiten des Dokumentarfotografen Michael Kerstgens, die später in dem klassischen Fotobuch „Coal not Dole“ mündeten. Kerstgens, Jahrgang 1960, ist damals noch Foto-Student an der Essener Folkwang-Hochschule, er besucht Verwandte im Kohlerevier von Süd-Wales; und bald begleitet er Stuart Marschall und seine Frau Marsha für einige Monate durch ihren Alltag.

Auf einem der Fotos sieht man Stuart, wie er von seiner Küche aus die Streikposten für den nächsten Tag zusammentelefoniert; man schaut zu, wie Marsha sich in ihrem Wohnzimmer auf dem Sofa im Fernsehen das Interview anschaut, das sie zuvor der BBC gegeben hat. Man sieht, wie man sich Silvester 1984 gemeinsam mit Freunden Mut macht, sich einander die Hände reichend, dabei singend.30 Jahre später ist Kerstgens noch einmal an den Ort des Geschehens zurückgekehrt, da ist Marsha nicht mehr am Leben. Und wir blicken auf ein Porträtfoto von Stuart, der sich das Geburts- und das Todesdatum seiner Frau hat einmal quer über die Brust tätowieren lassen, dazu den Slogan „Simply the best“. Es ist ein großes Bild voller Trauer und voller Kraft.

„Streik!“: bis 3. Oktober, Hamburg, Museum der Arbeit; am Do, 2. 6., ist Michael Kerstgens zu Gast, zeigt Fotos und stellt den Roman „GB84“ von David Peace vor; es liest Joachim Król

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