Tradition im Vorteil

Alleinerziehende Frauen verdienen drastisch weniger als Männer oder verheiratete Mütter

Von Patricia Hecht

Auf das gesamte Erwerbsleben gerechnet verdienen Frauen deutlich weniger als Männer – sie bekommen nur etwas mehr als die Hälfte des Geldes. Dieses erschreckende Verhältnis veröffentlichte ein For­sche­r:in­nen­team der Freien Universität Berlin 2020. Eine neue Studie zeigt nun: Die Lücke zwischen den Geschlechtern schließt sich vor allem dann, wenn Frauen sich innerhalb des traditionellen Familienbilds bewegen. Frauen hingegen, die überwiegend alleinerziehend sind, müssen im Vergleich zu verheirateten Müttern durchschnittlich Einbußen von rund 25 Prozent hinnehmen.

Der dritte und letzte Teil der Studie „Wer gewinnt? Wer verliert? Die Entwicklung und Prognose von Lebenserwerbseinkommen in Deutschland“ erscheint zum Tag der Arbeit am 1. Mai. Er untersucht, wie sich die massive Lücke in den Erwerbseinkommen von Frauen und Männern schließen lässt, wenn staatliche Leistungen und Familienkonstellationen berücksichtigt werden.

Gibt es zwei Einkommen im Haushalt, fängt das Partnereinkommen Ausfälle von Müttern auf, die zum Beispiel durch Kindererziehungszeiten nicht arbeiten können. Fällt diese Absicherung im eigenen Haushalt jedoch weg, ist der Staat nur unzureichend in der Lage, Einkommensausfälle zu kompensieren. Verheiratete Mütter und Väter, die heute Mitte 30 sind, haben im Haupterwerbsalter zwischen 20 und 55 Jahren – nach Steuern, zuzüglich staatlicher Leistungen – jeweils rund 700.000 Euro zur Verfügung. Frauen, die überwiegend alleinerziehend sind, kommen hingegen nur auf rund 520.000 Euro.

Zudem sind Alleinerziehende zunehmend auf Transferleistungen angewiesen. Denn viele familienbezogene Leistungen sind noch immer auf die Ehe ausgerichtet, darunter zum Beispiel das Ehegattensplitting oder die beitragsfreie Mitversicherung. „Für Alleinerziehende oder nicht verheiratete Paare sind diese Leistungen nicht zugänglich“, sagt Studienautor Timm Bönke. Staatlicherseits werden noch immer starke Anreize für eine traditionelle Rollenaufteilung gesetzt, in der die Frau weniger Erwerbs-, dafür mehr Sorgearbeit übernimmt als der Mann.

Aus den Erkenntnissen folge, schreiben die Au­to­r:in­nen der Studie, „klarer Handlungsbedarf für die Politik“: Was es brauche, sei eine „universellere Absicherung unterschiedlicher Lebenswirklichkeiten“ durch verlässliche und qualitativ hochwertige Kinderbetreuung und größeren finanziellen Spielraum.

Auch die neue Frauen- und Familienministerin des Bundes, Lisa Paus (Grüne), ist alleinerziehende Mutter. Im ersten Statement nach ihrer Vereidigung am Mittwoch sagte Paus, sie wolle Alleinerziehenden den Rücken stärken: „Sie sind keine Familien zweiter Klasse.“ Der Staat müsse hier mehr tun: Die Kinderbetreuung ausbauen, ebenso die Elterngeldmonate bei Alleinerziehenden. Außerdem sollen eine Kindergrundsicherung und Steuergutschriften für Alleinerziehende auf den Weg gebracht werden. Allerdings bleibt das Ehegattensplitting bisher unangetastet.