: Warten zu müssen
Geschichte ist Wandel. Besuch in einem Charlottenburger Hotel, das mal ein Gefängnis war
Von Eva-Lena Lörzer
„Das Gebäude wurde im 19. Jahrhundert erbaut, bis in die 1980er Jahre als Gefängnis genutzt und dann über zehn Jahre von einem Architektenpaar in ein Hotel verwandelt, das von ihnen und ihren Kindern geführt wird“, erklärt der Angestellte des Wilmina Hotels in der Kantstraße 79 mit einem Tablett Sektgläser in der Hand, während ich das Tor zum ersten Innenhof mit einer Chipkarte öffne. Es ist die Eröffnungsnacht des Hotels. Und wohl das erste Mal seit Jahrzehnten, dass die Flügeltür des ehemaligen Gerichtsgebäudes inmitten der gutbürgerlichen Wohngegend geöffnet ist und den Blick auf das Tor zu den Höfen freigibt. Im ersten Innenhof – früher der Schleusenhof des Frauengefängnisses – befindet sich jetzt das Lovis Restaurant.
Durch ein schweres Eisentor geht es in den zweiten Innenhof. Auch der ist begrünt und mit zahlreichen Lämpchen beleuchtet. „Hier ist das Hotel“, sagt der Mitarbeiter und deutet auf einen roten Backsteinbau. Er führt mich in einen geräumigen Lobbybereich. Auf der linken Seite befinden sich eine Küche und ein Aufenthaltsraum mit einem Kamin und zwei großen Sofas sowie einer Holzwanne mit teuren Kunstbüchern wie „The Art of Protest“. Zur Rechten führt ein durch unzählige von der Decke hängende Lampen erleuchtetes Treppenhaus zu den Zimmern im einstigen Zellentrakt.
Der Mitarbeiter öffnet eine Glastür im ersten Stock: „Hier sind wir.“ Auf der grün gestrichenen Holztür des als Raumtyp Cosy gebuchten Zimmers erinnern neben der Zellennummer noch Guckloch und Schließriegel daran, dass die Frauen, die hier einst einsaßen, die Tür nicht selbst öffnen konnten. Während der Rest des Hotels so umgestaltet wurde, dass nur das Wissen um die Geschichte des Ortes befremdlich ist, drängen sich in dem aus zwei einstigen 6-Quadratmeter-Zellen zusammengelegten und aus einem Eingangsbereich, einem kleinen Badezimmer und einem Schlafbereich aus Bett, Minischreibtisch und Plasma-Screen bestehenden Zimmers unweigerlich die Fragen auf, wie es gewesen sein muss, sich hier unfreiwillig und länger als eine Nacht aufzuhalten. Nur die Hälfte des Raums für sich zu haben. Eine Pritsche, vielleicht ein Regal und eine kleine Fläche zum Hin- und Herlaufen. Wie es gewesen sein muss, von der Außenwelt abgeschnitten zu sein, nur durch ein winziges, vergittertes Fenster Jahreszeit, Tageszeit und Wetter mitzubekommen. Warten zu müssen, dass sich etwas im Schloss bewegt.
Wer hier wohl einsaß? Es könnte die Zelle von Ulrike Edschmid gewesen sein. Aus ihrem Buch „Das Verschwinden des Philip S.“ weiß ich, dass die Schriftstellerin, die hier in den 1970er Jahren ein paar Tage lang inhaftiert war, die Wände so wie ich jetzt mit ausgestreckten Armen auf beiden Seiten berühren konnte. Auch das Fenster ist wie in Edschmids Roman an der Stirnseite oben.
Vielleicht sahen alle Zellen gleich aus. Ich schaue auf die Tür. Heute befindet sich dort die Brandschutzordnung. Früher hing dort die Hausordnung, die den Insassinnen untersagte, aus dem Fenster zu sehen, zu rufen oder zu winken, und ihnen auch verbot, tagsüber auf dem Bett zu liegen oder darauf zu sitzen. Was blieb den Frauen? Und wie sahen während der NS-Zeit die Regeln für die Widerstandskämpferinnen aus, die hier nach wochenlangen Verhören und einer Verurteilung durch das Reichskriegsgericht auf die Vollstreckung des Todesurteils warteten? Durften sie wenigstens ab und an auf den Hof?
Später frage ich den Kellner im Lovis Restaurant, aus welchen Gründen Menschen das Hotel wählen. Er zuckt mit den Achseln: „Die meisten wollen sicher ein Zimmer in zentraler Lage.“
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