Gehörlose Geflüchtete sollen nach Köln: Diese Gruppe muss zusammenbleiben

Der Umgang mit 180 gehörlosen Geflüchteten wirft Fragen auf. In Berlin gut angekommen, sollen sie nach Köln. Ein schlechtes Vorbild für Integration.

Ein Plakat mit Informationen für die aus der Ukraine ankommenden Flüchtlinge hängt in der Bahnhofshalle am Hauptbahnhof, während im Hintergrund Reisende vorbeigehen

Gehörlose ukrainische Geflüchtete sind auf Schriftsprache oder russische Gebärdensprache angewiesen Foto: dpa/Monika Skolimowska

BERLIN taz | Zugegeben: Es wird kaum möglich sein, dass alle ukrainischen Geflüchteten, die dies möchten, in Berlin bleiben können. 44.000 haben schon einen Aufenthaltstitel für Berlin beantragt, täglich kommen mehr Flüchtlinge an. Angesichts fehlender Wohnungen und Jobs ist es darum richtig, dass ein Großteil der Menschen weitergeleitet wird in andere Teile Deutschlands. Gut ist auch, dass der Senat Kriterien für eine Zuweisung nach Berlin festgelegt hat: Hier bleiben darf, wer in Berlin Verwandte hat, eine Wohnungszusage für mindestens 6 Monate, wegen Krankheit nicht reisefähig ist oder einen Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz nachweist.

Allerdings dürfen diese Bedingungen nicht das Einzige sein, was zählt. Wer nachweislich spezielle Bedürfnisse hat, für die es nur in Berlin Hilfe gibt, muss bleiben können. Der aktuelle Umgang der Sozialverwaltung und des Landesflüchtlingsamts (LAF) mit einer Gruppe gehörloser Ukrai­ne­r*in­nen ist daher nicht anders als herzlos zu nennen.

Seit über sieben Wochen sind die knapp 180 Menschen hier, die hiesige Gehörlosen-Community kümmert sich hingebungsvoll, hilft bei Schulanmeldung, Arbeitsplatz- und Wohnungssuche, beim Kontakte knüpfen, berät und übersetzt.

Für den Berliner Gehörlosenverband ist darum klar: Diese Gruppe muss nicht nur zusammenbleiben – weil sie nur russische Gebärdensprache sprechen, sind sie aufeinander angewiesen –, sie sollte auch in Berlin bleiben. Denn die Bemühungen der Community sind erfolgreich: Einige Geflüchtete haben bereits Arbeit gefunden, einige Wohnungen, es gibt Schulplätze. Die hiesige Gehörlosenschule will sogar Leh­re­r*in­nen für russische Gebärdensprache einstellen.

Ohne Rücksprache mit den Betroffenen

Doch die Sozialverwaltung bleibt stur: Wer obige Bedingungen nicht erfüllt, müsse gehen. Dies gelte auch für Behinderte, stellte sie am Mittwoch erneut klar, andernfalls seien die Berliner Inklusionsstrukturen bald völlig überlastet. Außerdem habe das LAF für die Gruppe ein Angebot in Köln organisiert, wo es ebenfalls eine Community und Infrastruktur für Gehörlose gebe.

Dazu ist zu sagen: Das Köln-„Angebot“ hat das LAF ohne Rücksprache mit den Betroffenen entwickelt. Der Berliner Gehörlosenverband, der die Bedürfnisse der Leute am besten kennt, war nicht eingebunden – eine klare Verletzung des Grundsatzes „Nicht über uns ohne uns“ der UN-Behindertenkonvention.

Woher will das LAF wissen, was die Betroffenen brauchen? Warum bringt man zu Gesprächen nicht einmal einen Gebärdendolmetscher mit? Warum hat man den Menschen bis heute nicht die Kriterien für eine Berlin-Zuweisung in ihrer Gebärdensprache erklärt? Kein Wunder, dass die meisten Ukrai­ne­r*in­nen dem „Angebot“ misstrauten: Zu wenig Informationen gab es dazu. Und nicht einmal eine schriftliche Zusage, dass die Gruppe in Köln zusammenbleiben kann.

Diese paternalistische Haltung steht der linken Sozialsenatorin schlecht zu Gesicht

Diese paternalistische Haltung (wir wissen am besten, was gut für euch ist) steht Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) schlecht zu Gesicht. Gute Politik heißt nicht, Regeln blind zu exekutieren aus Angst vor überfordernden Partikularinteressen. Gute Politik macht, wer erst zuhört – und dann entscheidet, ob das Interesse berechtigt ist.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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