„Es sollte kein Geld mehr nach Russland fließen“

Wir werden angesichts des Grauens in der Ukraine handeln müssen, sagt FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und fordert einen Importstopp für Gas, Öl und Kohle

Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), 64, ist Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags und Mitglied im FDP-Bundesvorstand Foto: ­Chris­tophe Gateau/dpa

Interview Jasmin Kalarickal

taz: Frau Strack-Zimmermann, Sie haben bereits Anfang März einen sofortigen Importstopp für Gas und Öl aus Russland gefordert. Sehen Sie das immer noch so?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Angesichts dessen, was in den Vororten von Kiew passiert, Zivilisten werden ermordet, wir erfahren von Vergewaltigungen und Verschleppung von Kindern, halte ich das für erforderlich. Mir ist klar, dass das eine große Herausforderung ist. Öl und Kohle können am schnellsten auf den Weltmärkten kompensiert werden. Gas ist deutlich schwieriger. Wir sollten es dennoch umsetzen. Das ist meine persönliche Meinung.

Sie widersprechen damit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesfinanzminister Christian Lindner – die lehnen bislang ein Gas-Embargo ab.

Der Finanz- und der Wirtschaftsminister haben große Verantwortung, und natürlich bedarf es Zeit, ein solches Embargo umzusetzen, da auch Arbeitsplätze gefährdet sein könnten. Ich persönlich denke aber, dass wir auf lange Sicht, angesichts dieser Kriegsverbrechen, nicht umhinkommen, diesen Weg auch zu gehen.

Die EU-Kommission hat am Dienstag ein umfangreiches Paket mit neuen Russland-Sanktionen vorgeschlagen: Es beinhaltet unter anderem eine Hafensperre für russische Schiffe, weitere Handelsbeschränkungen mit Russland – und ein Importverbot für Kohle. Gut so?

Es wird Zeit und ist wirklich gut, dass Europa auch diesbezüglich endlich handelt.

Sie sagen dennoch, man sollte auch auf Gas verzichten?

Ich bin nicht naiv, ich habe mit vielen Fachleuten gesprochen. Deswegen muss man selbstverständlich die Folgen abwägen. Wir werden aber angesichts des Grauens in der Ukraine handeln müssen. Vor allem auch – an dieser Stelle sei das gesagt – deutlich mehr Waffen liefern.

Würden Sie sagen, dass wir durch diese Importe den Krieg direkt mitfinanzieren?

Wir kaufen Energie und bezahlen dafür. Putin kann zwar nur begrenzt darauf zurückgreifen, aber ja, wir füllen die russische Kasse. Wir befinden uns in einem Dilemma: Es sollte kein Geld mehr nach Russland fließen, damit der Krieg beendet wird, auf der anderen Seite gibt es eine Verantwortung der eigenen Bevölkerung gegenüber.

Ein Argument gegen ein Embargo lautet, dass die deutsche Wirtschaft das nicht verkraften würde und es große gesellschaftliche und soziale Folgen hätte. Stimmen Sie dem zu?

Es wäre in der Tat ein Einschnitt. Aber es tobt ein Krieg vor unserer Haustüre. Wir sollten daher, ohne Angst zu verbreiten, die Bevölkerung sensibilisieren, dass ein solches Drama nicht spurlos an uns vorbeigehen wird.

Was genau müsste der Bevölkerung erklärt werden?

Dass unsere Abhängigkeit von russischem Gas groß ist und dass wir die Energie benötigen. Wir sind ein hochindustrialisiertes Land, und wenn man sich sehr schnell von russischer Energie löst, dann könnte es zu Einschränkungen kommen.

Was meinen Sie mit Einschränkungen konkret?

Mindestens steigende Energiepreise. Und das berührt auch und besonders Unternehmen, die einen sehr hohen Energiebedarf haben.

Wenn sich Deutschland unabhängiger von Gas, Öl und Kohle machen will, dann wäre ein möglicher Schritt, den eigenen Energieverbrauch zu verändern. Dieser Krieg hat viele Gewissheiten infrage gestellt. Käme für Sie in dieser Situation ein Tempolimit oder ein autofreier Sonntag infrage?

Wir diskutieren doch auch kein Gesetz, das festlegt, dass Menschen ihre Räume nicht mehr über 20 Grad heizen dürfen. Jeder von uns ist aufgerufen, sein eigenes Verhalten zu überdenken. Und das trauen wir den Bürgerinnen und Bürgern zu.

Abwegig ist diese Diskussion aber nicht. Tempolimit und autofreie Sonntage gab es auf befristete Zeit auch während der Ölkrise 1973 – beschlossen von der sozial-liberalen Koalition.

1973 handelte es sich um einen sogenannten Ölpreisschock. Der Ölpreis war so gestiegen, dass gravierende gesamtwirtschaftliche Auswirkungen drohten. Nicht die Ölreserven waren seinerzeit erschöpft, sondern es hatte politische beziehungsweise ökonomische Gründe. Die Bürgerinnen und Bürger bekommen doch heute täglich mit, was geschieht. Insofern sind viele Menschen sensibel genug, in Verantwortung ihren Verbrauch selbst zu regeln.