Serbien vor der Wahl: Vučić auf bewährtem Schlingerkurs

Der Ukrainekrieg hat viele Hoffnungen der serbischen Opposition zunichtegemacht. Das Land entdeckt wieder alte Freund-Feind-Schemata.

Porträt von einem Mann mit wenig Haaren und Brille: Präsident Aleksandar Vučić

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić steht vor der Wiederwahl Foto: Darko Vojinovic/ap

BELGRAD taz | Wahlen sind in Serbien nie einfach Wahlen. Der Urnengang hat immer etwas Schicksalhaftes an sich, stets geht es um den Kampf zwischen Gut und Böse. Auch nun, vor den Parlaments-, Präsidentschafts- und den Kommunalwahlen in Belgrad am 3. April, warnen die Kon­tra­hen­t*in­nen vor der Apokalypse, die eintritt, wenn das andere Lager gewinnt.

Der Krieg in der Ukraine lädt die Stimmung zusätzlich auf. Putins Feldzug führt zu gemischten Gefühlen: Einerseits wurde man selbst 1999 von der Nato bombardiert und kann im Gegensatz zu den meisten Eu­ro­päe­r*in­nen nachvollziehen, was es heißt, machtlos dem Beschuss durch einen viel mächtigeren Feind ausgeliefert zu sein. Andererseits schlägt das Herz der Ser­b*in­nen – auch deshalb – für die slawisch-orthodoxen Brüder und Schwestern in Russland.

„Diese Hysterie! Die Amis können es nur nicht ertragen, dass Russland wieder stark ist. Putin hat recht“, sagt eine Frau im Tabakladen und packt die Tageszeitung Informer in die Tasche. Das Blatt hatte zu Beginn der russischen Invasion getitelt: „Die Ukraine hat Russland angegriffen“. Die Verkäuferin nickt nur mit dem Kopf. Nirgendwo anders in Europa findet Wladimir Putin eine solche Zustimmung wie in Serbien. Dabei sah es für die Opposition nach einem Jahrzehnt, das sie in Bedeutungslosigkeit verbracht hatte, endlich vielversprechend aus.

Serbien erlebte in den letzten Monaten Massenproteste gegen den Lithiumabbau. Es stellte sich heraus, dass Umwelt das Thema ist, das politikmüde Menschen im ganzen Land verbindet: Fast jede Kommune hat Probleme mit der Verseuchung von Boden und Grundwasser, denn Investoren mussten sich in Serbien nicht an teure Umweltregeln halten. Im vorigen Jahr begann sich der Unmut zu bündeln, der Protest gegen ein Bergwerksprojekt am Unterlauf der Drina führte zu landesweiten Straßenblockaden.

Schnell erkannte auch die Opposition in den Aktionen ihre Chance und knüpfte an: Man versprach ein „grünes Serbien“, im Gegensatz zum „autokratischen“, „antidemokratischen“, „kriminellen“, „korrupten“ Regime, das „mit dem organisierten Verbrechen zusammenarbeitet“. Tatsächlich ist die Anzahl der bekannt gewordenen Affären regierender Politiker*innen, die ohne jegliche juristische oder politische Konsequenzen bleiben, endlos.

Aber dann musste Putin ausgerechnet einen Monat vor den Wahlen die Ukraine angreifen. Das veränderte über Nacht den gesamten Wahlkampf.

Das Problem: Die Öffentlichkeit Serbiens ist weitgehend staatlich finanziert und daher gleichgeschaltet. Es sind monopolartige Strukturen entstanden, die von regierungsfreundlichen Un­ter­neh­me­r*in­nen kontrolliert werden. Der EU-Beitrittskandidat wird deswegen oft als „hybride Demokratie“ bezeichnet und das politische Machtsystem mit Russland, der Türkei oder Ungarn verglichen.

Gleichschaltung der Medien

Nachdem er 2014 – damals zunächst als Premierminister – an die Macht gekommen ist, hat Staatspräsident Aleksandar Vučić alles getan, um den Mediensektor systematisch in den Griff zu nehmen. Zugleich hat er viele staatliche Institutionen in Exekutivausschüsse seiner Serbischen Fortschrittspartei (SNS) verwandelt. Staatliche Ressourcen werden zu Parteizwecken missbraucht, nicht nur finanzielle: Auch Geheimdienste, Polizei und große Teile des Justizsystems sind dem Staatspräsidenten untergeordnet.

Deshalb boykottierte ein Großteil der Opposition die Parlamentswahlen im Juni 2020. Vučić und seine SNS gewannen mit Dreiviertelmehrheit. Das war selbst für die serbische Scheindemokratie zu viel des Guten, es kam auch in Brüssel und Washington nicht gut an, und so wurden, noch bevor sich die neue Regierung gründen konnte, vorgezogene Parlamentswahlen für Anfang April angekündigt.

Doch die Fernsehsender wie auch die meisten Zeitungen dienen jetzt wieder als alleinige Werbeträger für Vučić. Die Opposition dringt da selbst mit ihrem Vorwurf von „unfairen“ Wahlen kaum durch.

Zusätzlich „werden Menschen, die zu unseren Wahlkampfveranstaltungen kommen wollen, direkt eingeschüchtert“, sagt der 82-jährige Vladeta Jan­ko­vić von der Koalition „Gemeinsam für Serbien“. Der pensionierte Philosophieprofessor kandidiert für das Bürgermeisteramt in Belgrad. Er sieht es auch im hohen Alter als seine Pflicht, sich gegen das „Böse, das Serbien in den Abgrund führt“, zu stemmen. Gemeint ist das Regime Vučić. Aber auch Janković sagt, dass Themen wie Korruption oder Umwelt über den Ukrainekrieg nun nebensächlicher geworden sind.

Aleksandar Vučić hat im Wahlkampf eine geschickte Wende gemacht. Seit zehn Jahren balanciert er zwischen Moskau, Brüssel und Washington, unterstreicht immer wieder die serbisch-russischen Sonderbeziehungen und hat aus Russland Militärausrüstung bezogen, weswegen er unter Druck geraten ist. Er änderte seinen Kam­pagnen­slogan – statt „Gemeinsam können wir alles“ lautet er nun „Frieden. Stabilität. Vučić“.

Serbien ist objektiv in einer schwierigen Lage. Es ist absolut abhängig vom russischen Erdöl und Gas, die Serbien zu „brüderlichen“ Preisen bekommt; Gazprom ist Mehrheitseigentümer des serbischen Energieversorgers NIS. Außerdem verhindert Russland mit seinem Vetorecht im UN-Sicherheitsrat die Aufnahme des Kosovo in die UN, das Serbien als seinen Bestandteil betrachtet. So hat sich Belgrad halbherzig der UN-Resolution angeschlossen, die die russische Invasion auf die Ukraine verdammt, und weigert sich, die Sanktionen gegen Russland mitzumachen.

Land

Serbien hat knapp 7 Millionen Einwohner, die Hauptstadt ist Belgrad. Seit 2012 ist das Land EU-Beitrittskandidat. Präsident Aleksandar Vučić ist zugleich Vorsitzender der populistischen Fortschrittspartei.

Grenze

Serbien ist kein direkter Nachbar der Ukraine, von Belgrad ins ukrainische Czernowitz sind es über Rumänien rund 800 Kilometer. Nach staatlichen Angaben von Anfang dieser Woche hat das Land 3.200 Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen, rund 10.000 mehr waren auf Durchreise.

Krieg

Serbien gilt als letzter Partner Putins in Europa. Das Miss­trauen gegenüber dem Westen schweißt sie zusammen.

Die Opposition hat sich für diese Wahlen auf drei Flügel verteilt und hofft, so die Wahlbeteiligung zu erhöhen, die bei den vergangenen Wahl­zyk­len knapp über 50 Prozent lag: Rechts steht der „Patriotische Block“, in der Mitte die Koalition „Gemeinsam für Serbien“ und links die grüne Koalition „Wir müssen“.

„Gemeinsam für Serbien“ ist der Block, dem Umfragen noch die meisten Stimmen nach der Regierungspartei SNS zutrauen. Auch die Gruppierung hat Schwierigkeiten im Umgang mit dem Ukraine-Krieg: Einerseits will man proeuropäisch sein, andererseits die mehrheitlich prorussisch gesinnten Wähler nicht brüskieren und versucht deshalb, das derzeitige Weltthema Nummer eins weitgehend zu ignorieren.

Sollte es Zdravko Ponoš, Ex-Generalstabschef und Präsidentschaftskandidat von „Gemeinsam für Serbien“, in die Stichwahl schaffen, wäre das nach den derzeitigen Prognosen eine Sensation. Etwas besser sieht es für die Opposition bei den Parlamentswahlen aus, eine Mehrheit ist aber auch dort unrealistisch.

Die Wahl in Belgrad

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo.

Der spannendste Kampf wird in Belgrad ausgetragen, wo die Opposition richtige Chancen hat. Egal ob im Bus, im Café oder auf dem Markt: Die Bel­gra­de­r*in­nen scheinen die Schnauze voll zu haben von „notorischen Lügen“ der „Drama-Queen“ von Präsidenten, der dermaßen anwesend in Medien ist, dass man den Eindruck hat, als würde er „aus dem Kühlschrank herausspringen“. In einem Wahlwerbespot tritt Vučić tatsächlich aus einem Kühlschrank und erklärt, er mache das, weil er sich so sehr um das Wohlergehen des Volks kümmert. Doch in Belgrad kommt die Staatspropaganda am wenigsten an.

Der Wahlkampf in Serbien ist tatsächlich ein „Kampf“: Für beide Seiten geht es um eine existenzielle Auseinandersetzung, als ob sich nicht politische Gegner, sondern Feinde gegenüberstehen. Aus der Sicht der regierenden Parteien dürfe man Serbien nicht „Verrätern“, „Auslandssöldnern“, „finsteren Machtzentren“ und „böswilligen Tycoons“ überlassen, „die nur deshalb an die Macht kommen wollen, um Serbien wieder ausplündern zu können“.

Aus Sicht der Opposition haben Vu­čić und seine Getreuen aus Serbien „einen Staat des organisierten Verbrechens gemacht“, der auf Geldwäsche von Drogengeschäften und illegalem Waffenhandel beruhe, einen Parteistaat, in dem ein Mann über alles entscheidet. „Wenn sie die Macht verlieren, droht ihnen das Gefängnis“, sagt Ponoš. Deshalb sei ihnen alles zuzutrauen.

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