: Das vergessene Leid der roten Spanier
Spanienflüchtlinge wurden von Frankreich nicht selten als Zwangsarbeiter nach Deutschland ausgeführt. Ihre Geschichten erforscht die Bremer Historikerin Anja Hasler
Von Harff-Peter Schönherr
Er ist eines der monströsesten Relikte der NS-Zeit: Der Bunker „Valentin“ in Bremen-Farge. Alle zweieinhalb Tage sollte auf seiner Montagelinie ein neues Hochsee-U-Boot Typ XXI zusammengesetzt werden, fertig gebaut wurde er nie. Unübersehbar steht er da, mehr als 420 Meter lang, über 30 Meter hoch, der Seekriegs-Koloss.
Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge haben den Bau errichtet, Tausende starben dabei. An beides erinnert der „Denkort Bunker Valentin“. Unter diesen Opfern waren auch spanische Bürgerkriegsflüchtlinge – im NS-Sprachgebrauch „Rotspanier“. Eine Gruppe, die erst spät ins Bewusstsein der Historikerzunft geriet. Über ihr Leid beim Bau der größenwahnsinnigen Werft an der Weser war lange nichts bekannt.
Eine, die daran arbeitet, das zu ändern, ist Anja Hasler. Die Zeitgeschichtlerin ist freie Mitarbeiterin der Gedenkstätte. „Angehörige haben uns angeschrieben, haben uns besucht“, beschreibt sie die Anfänge. „Das hat mich sehr inspiriert.“ Hasler, die Spanisch spricht, erhielt einen Rechercheauftrag. Ihre Masterarbeit „Deportiert – Vergessen – Erinnert. Spanische KZ-Häftlinge in Bremen Farge“ befasst sich dann mit den „Rotspaniern“ und dem „massiven Unrecht“, das ihnen nicht zuletzt in Bremen widerfahren war. „Darüber müssen wir reden“, sagt sie.
Für ihre Promotion will sie das Thema ausbauen. „Eine Geschichte der Nicht-Tradierung?“, lautet der Arbeitstitel ihrer Dissertation. „Der erinnerungskulturelle Umgang mit nationalsozialistischer Verfolgung in spanischen Familien“. Klar ist, dass sie ein erinnerungskulturelles Versäumnis aufgedeckt hat. Das Forschungsvakuum, das es zu füllen gilt, ist groß: „Ein höchst komplexes Thema“, sagt Hasler. „Da geht es um viele Länder, viele Lager, viele Lebenslagen.“
„Rotspanier“: So heißt auch eine Ausstellung, die bis Anfang des Monats im Bunker Valentin zu sehen war. Konzipiert haben sie der Romanist und Historiker Peter Gaida aus Bremen und Antonio Muñoz Sánchez (Universität Lissabon). Seit 2019 schon sind ihre 20 Leuchtstelen, darauf Texte, Fotos und Karten unterwegs – in Bordeaux und in Berlin war sie schon, derzeit ist sie im französischen Brest zu sehen. Auch dort wurden in den 1940er-Jahren „Rotspanier“ gezwungen, beim Bau eines deutschen U-Boot-Bunkers zu helfen – einer Reparaturwerft, ähnlich monströs wie Bremens „Valentin“.
Gaida und Sánchez erzählen von einer halben Million SpanierInnen, die 1939, nach Francos Bürgerkriegs-Sieg, über die Pyrenäen ins Exil flohen. Sie erzählen auch von den Härten ihrer Internierung in Frankreich, vom erzwungenen Arbeits- und Militäreinsatz.
Davon, wie die Wehrmacht dann 1940 Tausende ins Deutsche Reich verbrachte, und dort ins KZ Mauthausen, zur Vernichtung durch Arbeit. Vichy-Frankreich wiederum sperrte die „Rotspanier“ Südfrankreichs in eigene Zwangsarbeiterlager, überstellte viele von ihnen an die nationalsozialistische Organisation Todt.
In den späten 1930ern sperrte Frankreich Republikaner*innen, die vor dem Faschismus aus Spanien geflüchtet waren, in Lager, wo sie Hunger, Krankheit und Erniedrigung erlitten. Anlässlich des 80. Jahrestag der „Retirada“, also des republikanischen Exodus, hat die Gedenkstätte im französischen Rivesaltes zusammen mit 14 Gemeinden in neun Départements die Geschichte der Internierungslager auf ihrem Territorium erforscht.
Ein Ergebnis ist die Ausstellung „Spanier in den Lagern. Spanische Republikaner in französischen Internierungslagern 1939–1942. Fotografien von Paul Senn“: Sie zeigt 14 Porträts, die der Schweizer Fotoreporter zwischen 1938 und 1942 fotografiert hat. Zu sehen ist sie noch bis zum 31. 3. in der Gedenkstätte Lager Sandbostel.
Eine Einführung von Alexandre Froidevaux ist auf der Homepage stiftung-lager-sandbostel.de zu finden, ebenso der Vortrag „Vom Milag Nord ins Arbeitserziehungslager Bremen-Farge – Die Geschichte von sieben spanischen Zivilinternierten“ von Anja Hasler.
„So umfassend ist das noch nie öffentlich gezeigt worden“, sagt Hasler. „Für viele Besucher war das alles völlig neu.“ Von 30 „Rotspaniern“, die einst an „Valentin“ mitgebaut hatten, weiß man bis heute, Insassen des Lagers in Bremen-Farge, das organisatorisch dem KZ in Hamburg-Neuengamme zugeordnet war. Fünf von ihnen sind in Farge, fünf weitere in anderen Lagern gestorben. Einige wurden befreit. Das Schicksal der übrigen: unbekannt. „Viele Unterlagen haben die Nazis vernichtet“, sagt Hasler. Das Bauen selbst war brutalste Arbeit, begleitet von Mangelernährung und Misshandlung.
Das Leid zeichnet auch die Angehörigen: „Manche wollen am liebsten gar nicht drüber reden“, sagt Hasler. „Da wird dann viel verdrängt. Manchen fehlt es, weil sie erst jetzt davon erfahren, an einer emotionalen Beziehung dazu. Bei manchen ist aber auch eine große Berührtheit zu spüren. Oft waren sie ja die einzigen, die all das wachgehalten haben.“ Öffentliche Erinnerung habe „lange kaum stattgefunden“ – auch in Spanien nicht, wo der Faschist Francisco Franco bis 1975 regierte.
In Deutschland, erzählt Hasler, war es für „Rotspanier“ schwer, nach 1945 als politisch Verfolgte anerkannt zu werden, als Opfer des Nationalsozialismus: Es gab Rechtsstreite, dokumentiert sind empörende Ablehnungen durch deutsche Beamte. Andersherum lief es reibungsloser: 2015 fragte die Bundestagsfraktion der Linken die Regierung, ob diese es weiterhin für richtig hält, dass Versorgungsleistungen an francotreue NS-Kollaborateure der spanischen „Blauen Division“ fließen: Sie waren etwa von 1941 bis 1943 als 250. Infanterie-Division der Wehrmacht an der Ostfront eingesetzt. „Die Zahlung von Versorgungsleistungen an spanische Berechtigte entspricht den Regelungen des deutsch-spanischen Vertrags“, erklärte das Sozialministerium. Eine Änderung dieses Vertrages sei „nicht beabsichtigt“.
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