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Die Welt anders sehen

Charles Pépin denkt über die Bedeutung der Begegnung nach

Charles Pépin: „Kleine Philosophie der Begegnung“. Aus dem Französischen von Caroline Gutberlet. Hanser Verlag, München 2022, 256 Seiten, 20 Euro

Von Sabina Zollner

Laut Aristoteles macht uns ein wahrer Freund zu einem besseren Menschen. Picasso etwa wurde durch den Dichter Paul Éluard zu einem politisch engagierten Künstler. Und die Philosophin Émilie du Châtelet öffnete Voltaire für Frauenbelange die Augen. Das sind nur zwei von zahlreichen Anekdoten in dem neuen Buch des französischen Philosophen Charles Pépin, „Kleine Philosophie der Begegnung“, das verschiedene Theorien über die Bedeutung von Begegnungen aufführt. Für Pépin gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen treffen und begegnen. Nur wenn man aus einem Treffen verändert herausgeht, kann man von einer Begegnung sprechen. Der Zauber der Begegnung liegt darin, danach anders auf die Welt zu blicken und einen Teil seiner selbst zu entdecken, der einem vorher nicht bewusst war. Und je mehr man anderen Menschen begegnet, desto mehr kommt man dem eigenen Selbst nahe.

Das Buch liest sich stellenweise wie eine Art Lebensratgeber, wenn Pépin Tipps an die Hand gibt, wie man sich für Begegnung öffnen kann. So solle man die eigenen vier Wände verlassen, keine Erwartungen an Begegnungen haben und sich verletzlich zeigen. Da stehen dann Sätze wie: „Begegnung erfordert diese Bereitschaft, sich Zeit zu nehmen, auch Zeit zu verlieren, dem Diktat der zu erledigenden Dinge und dem Druck des Eiligen nicht nachzugeben.“

Der wohl interessanteste Teil kommt am Ende. Darin beschreibt der Philosoph verschiedene philosophische Analysen der Begegnung. Da wäre die These des Menschen als unfertiges Tier, der zu früh geboren ist und deshalb lange auf Unterstützung von außen angewiesen ist. Die Begegnung ist dabei das Instrument, um als Mensch vollendet zu werden. Daran knüpfen auch die Existenzialisten an. So werden wir laut Sartre in unser Dasein geworfen, ohne vorbestimmte Essenz oder Wahrheit, wir müssen uns mit unseren Begegnungen und Beziehungen erst selbst erfinden. Nur so können wir Freiheit erlangen. Dabei unterscheidet sich Sartre von dem Existenzialisten Kierkegaard, der zwar auch daran glaubt, dass wir unsere wahre Existenz nur über Begegnung kennenlernen können. Aber für Kierkegaard geht es nicht um Freiheit, sondern um Glauben. In jeder Begegnung findet der Mensch seine Liebe zu Gott wieder.

Nach Freud bedeutet begegnen immer, das eigene Verlangen, unsere Libido zu stillen. Der Mensch ist dabei immer wieder im Prozess, andere Menschen nachzuahmen. Dabei realisiert er, dass er nicht die andere Person werden kann. In dieser Suche findet er zu sich selbst. Von wem wir uns angezogen fühlen, wird dabei von unseren Erfahrungen aus der Kindheit bestimmt. Ähnlich lässt sich die Begegnung auch aus einer dialektischen Lesart heraus deuten: „Wir müssen dem begegnen, was nicht wir selbst ist, um wir selbst zu werden.“

Das Buch gibt interessante Denkansätze, doch es lässt einiges offen. Vor allem in Zeiten, in denen viele unserer Begegnungen online stattfinden, fragt man sich: Kann man einander virtuell wirklich begegnen? Oder trifft man sich nur?

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