: Putinfreies Gas aus Niedersachsen
Der Wunsch nach einer Energieversorgung, die unabhängig ist von Russlands Gas und Kohle sorgt für seltsame Volten in der Energiepolitik. Gilt das etwa auch fürs Fracking?
Von Nadine Conti
Der Krieg in der Ukraine und die daraus folgende Energieversorgungskrise hat viele Gewissheiten erschüttert. Plötzlich wird munter über eine Verlängerung für Kohle- und Atomstrom debattiert. Geht damit auch der Streit ums Fracking in eine neue Runde?
Hellhörig machten manchen zumindest die Antworten des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) in einem Interview mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) am Mittwoch. Der Frage, ob man nun doch über eine Ausbeutung der Erdgasvorkommen in der Nordsee nachdenken müsse, wich Weil aus.
Natürlich müsse man jetzt die heimischen Erdgasreserven betrachten und gegebenenfalls neu bewerten, sagt er. Aber viel größere Mengen als in der Nordsee würden ja in Schiefer- und Kohleflöz-Lagern vermutet. Die ließen sich allerdings nur durch unkonventionelles Fracking erschließen, wogegen es bisher einen breiten politischen Konsens gegeben habe. Heißt das Wörtchen „bisher“ etwa „bald nicht mehr“?
Das ist in Niedersachsen ein heißes Eisen, wo es Dutzende von Bürgerinitiativen gegen diese Form der Gasförderung gibt. Beim sogenannten unkonventionellen Fracking wird mit zahlreichen Chemikalien versetztes Wasser unter Hochdruck in gasführende Gesteinsschichten gepresst. Die Fördermethode wird immer wieder für Erdbeben verantwortlich gemacht. Außerdem droht eine Vergiftung des Grundwassers und aus den Bohrlöchern wird Methan freigesetzt. Das ist noch klimaschädlicher als das bei Verbrennungsprozessen freigesetzte CO2.
Gegen die Interpretation, Weil wolle den Anti-Fracking-Konsens infrage stellen, verwahrt sich Regierungssprecherin Anke Pörksen denn auch eiligst. Es würden jetzt eben alle Gasvorkommen einer näheren Analyse und Bewertung unterzogen, sagt sie. Dazu hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Länder ausdrücklich aufgefordert. Aber von irgendeiner wie auch immer gearteten Entscheidung oder gar Kehrtwende sei man weit entfernt.
Auch Umweltminister Olaf Lies (SPD) betont, man fühle sich weiterhin an den Landtagsbeschluss gegen das Fracking gebunden, die Lage müsse aber nun neu ab- und eingeschätzt werden. Der Minister werde sich dazu zügig mit den energiepolitischen Sprecher*innen der Landtagsfraktionen besprechen.
Und selbst Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) lässt seinen Sprecher erklären, Fracking stünde im Moment nicht ganz oben auf seiner Liste – da sei ja zunächst einmal der Bundesgesetzgeber gefragt, der das Verbot des unkonventionellen Frackings aufheben müsste.
Aus Sicht des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums gelte es nun erst einmal, alle derzeit rechtlich möglichen und umsetzbaren Handlungsoptionen auszuschöpfen: Die Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien, die Gewinnung der heimischen, konventionell förderbaren Gasvorkommen oder der möglichst zügige Bau von Green-Gas-Ready-LNG-Importterminals.
Für die energiepolitische Sprecherin der Grünen, Imke Byl, steht fest, dass Fracking auch unter den neuen geopolitischen Bedingungen nicht zur Debatte stehen darf: „Fracking ist und bleibt mit hohen Kosten und großen Gefahren verbunden, daher lehnen wir das ab.“
Bisher hätten sich SPD und CDU in Niedersachsen beim Klimaschutz auf nichts Entscheidendes einigen können: Weder auf eine Solardachpflicht noch auf eine beschleunigte Wärmewende oder mehr Windenergieflächen. Es werde Zeit, die Blockadehaltung aufzugeben und die angekündigte Landes-Taskforce „Sichere Energieversorgung“ klar darauf auszurichten, die Erneuerbaren auszubauen und den Verbrauch zu senken, sagt Byl.
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