Blicke senken, Fäuste recken, Arme kreuzen

Politisch engagierte Sportler und Sportlerinnen sind nichts Neues in der olympischen Geschichte. Sogar bei den Nazi-Spielen 1936 in Berlin gab es Athletenproteste. Meist beginnt das IOC danach mit Ermittlungen und spricht Sperren aus. Doch gerade Regelübertretungen waren erfolgreich

Ein Gedanke von Peter Norman. „Wenn du etwas zu sagen hast, sage es an diesem Tag, denn heute hast du es dir verdient.“ Der Australier ist auf dem Foto zu sehen, auf dem 1968 Tommie Smith und John Carlos die Fäuste recken. Norman hatte sich mit ihnen solidarisiert, wofür er in Australien später Ärger bekam. Im Weltgedächtnis ist der Silbermedaillengewinner über 200 Meter vergessen. Proteste gab und gibt es gleichwohl immer.

Zuletzt war es Raven Saunders. Die amerikanische Kugelstoßerin gewann bei den Olympischen Sommerspielen 2021 Silber und kreuzte bei der Siegerehrung die Arme zu einem unübersehbaren X – gegen die Unterdrückung Schwarzer Menschen, der LGBTQIA+-Community und psychisch kranker Menschen. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) ermittelte gegen Saunders, denn sie hatte ja gegen Regel 50 der Olympischen Charta verstoßen: keine politische Demonstration.

1920, bei den Olympischen Spielen in Antwerpen, hatte Joseph Guillemot überraschend den 5.000-Meter-Lauf gewonnen. Der Franzose war als Soldat im Ersten Weltkrieg gewesen und hatte dort eine Senfgasvergiftung erlitten, was ihn schlechter atmen ließ – für einen Langstreckenläufer eine arge Behinderung. Nach seinem Sieg wollte ihm der belgische König Albert gratulieren, doch Guillemot ließ warten, denn er müsse sich noch seine Haare kämmen, wie er mitteilen ließ. Als er sich endlich zu einem Gespräch mit Albert bequemte, erklärte der Läufer dem König, welche politische Rolle Sport nach einem Ereignis wie einem Weltkrieg spielen könne.

Seine Chance nutzen wollte auch der deutsche Ringer Werner Seelenbinder. Der Kommunist war als mit Abstand bester Athlet seines Sports für die Olympischen Spiele 1936 qualifiziert, dabei hatte er zwischen 1933 und 1935 bereits ganze 16 Monate in Gefängnissen und KZs gesessen. Sein Plan war: Nach der Siegerehrung das Interview mit der internationalen Presse nutzen und über die Repressionen in NS-Deutschland sprechen. Genossen hatten Radiotechnik installiert, sodass das Interview gleich ins Ausland gesendet werden sollte. Auch Seelenbinders Flucht hatten die Genossen vorbereitet. Der Plan scheiterte: Seelenbinder wurde nur Vierter, das Siegerinterview fiel aus. Auch die installierte Rundfunktechnik war vorab entdeckt worden.

„Alle Teilnehmer wurden durch die Gestapo sorgfältig überwacht“, hieß es in einem Gestapo-Bericht zu den Spielen 1936. So wurden etwa drei brasilianische Olympiateilnehmer kurzfristig verhaftet, weil sie antifaschistische Gespräche geführt hatten. Oder über einen schwedischen Trainer wurde eine Akte angelegt, weil der sich ablehnend über Hitler geäußert hatte.

Auch solcher Protest fand 1936 statt: Die Erst- und Drittplatzierten im ­Marathonlauf, Kitei Son und Shoryu Nan aus Japan, waren gebürtige Koreaner, und ihre ursprünglichen Namen lauteten: Kee Chung Son bzw. Seung-Yong Nam. Als bei der Siegerehrung die japanische Flagge gehisst wurde, senkten sie aus Protest gegen Japan die Köpfe.

Viele Spitzensportler der dreißiger Jahre hatten sich auch geweigert, an dem NS-Spektakel teilzunehmen: Der tschechoslowakische Marathonmeister Oskar Hekš etwa, der 1944 in Auschwitz ermordet werden sollte, oder auch ein Superstar wie die dreifache Schwimm­olympiasiegerin von 1932, Helen Madison aus den USA, weigerten sich, in Berlin anzutreten. Die niederländische Leichtathletin Tollien Schuurman erklärte, es sei ihr „unbegreiflich, dass man sich in der Sportwelt nicht allgemein weigert, an den Olympischen Spielen in Deutschland teilzunehmen“. Die österreichischen Schwimmerinnen Ruth Langer, Lucie Goldner und Judith Deutsch, alle drei jüdisch und beim SC Hakoah Wien, weigerten sich aus Gewissensgründen – und wurden dafür gesperrt. Sogar das amerikanische IOC-Mitglied Ernest Lee Jancke weigerte sich als gläubiger Katholik, nach Berlin zu reisen. Jancke wurde aus dem IOC ausgeschlossen.

Bei den Spielen 1968 hatte die Turnerin Věra Čáslavská aus der Tschechoslowakei vier Mal Gold gewonnen. Sie unterstützte die Reformbewegung, protestierte gegen den Einmarsch der Roten Armee und senkte demonstrativ den Kopf, als die Hymne der Sowjetunion gespielt wurde. Nach Olympia erhielt sie Berufsverbot.

2012 in London trat der Boxer Damien Hooper, ein indigener Australier, mit einem T-Shirt, das die Flagge der Aborigines zeigte, in den Ring. Das australische NOK und das IOC setzten ihn unter Druck, er entschuldigte sich. Nach den Spielen wechselte Hooper ins Profilager. Martin Krauss