Ungechippt

Ohne Halbleiter geht nichts. Und die sind knapp geworden. Auch bei schwäbischen Ventilatorenherstellern ist die globale Chip-Krise angekommen und behindert die Produktion. Ein Werksbesuch

Früher ging nur „An“ und „Aus“, heute müssen Ventilatoren viel mehr können, damit etwa Wärmepumpen klimaschonend Häuser heizen können. Das geht nur mit Steuer-Chips Foto: Daniel Maurer/dpa/picture alliance

Aus Mulfingen Benno Stieber

Da liegt diese Scheibe aus schwarzem Silizium, ein sogenanntes Halbmetall, flach, eckig und kaum größer als eine Linse. Oben hat sie eine silbrige Struktur, die bestimmt, welche Aufgabe sie später erfüllt. Es ist eine elektronische Gehirnzelle – jenes Modul, an dem es heute überall fehlt und das deshalb die Wirtschaft zum Stocken bringt.

Erich Rauscher ist Produktionsleiter bei EBM-Papst in Mulfingen, südlich von Würzburg. Das Unternehmen ist Weltmarktführer für Ventilatoren, unterhält Produktionsstandorte auf vier Kontinenten. Rauscher hat den Chip extra in ein durchsichtiges Plastiktütchen gepackt, damit er nicht verloren geht. Man muss sich das mal vorstellen, sagt Rauscher, „vor zwei Jahren haben wir so einen Chip für Cent-Beträge eingekauft, jetzt zahlen wir irgendwas im mittleren zweistelligen Euro-Bereich“. Eine Preissteigerung um den Faktor tausend oder mehr. Den genauen Preis will ­Rauscher nicht nennen. Denn erstens ändert der sich jeden Tag, und zweitens will er sich über die Händler, auf die er jetzt angewiesen ist, nicht beklagen.

Wenn es nur die Preissteigerungen wären. Aber seit eineinhalb Jahren geht es auf dem weltweiten Chipmarkt zu wie früher in der Planwirtschaft: Hersteller vergeben wöchentlich nur noch festgelegte Kontingente für die verschiedenen Branchen. Wer mehr braucht, als ihm zugeteilt wird, muss die fehlenden Module auf dem grauen Markt beschaffen. Bei Chipbrokern – Leuten also, die im großen Stil die Halbleiter in der Hoffnung auf künftige Verknappung gelagert haben und jetzt fast jeden Preis dafür verlangen können.

Und das tun sie auch. Die Herstellernamen auf der Graumarktware sind oft geschwärzt, damit man die Herkunft nicht nachvollziehen kann. „Wir müssen dann erst mal die Qualität prüfen“ sagt Rauscher. Und obwohl man als Unternehmen teils absurde Preise bezahlt, bekommt man am Ende doch nicht alle Komponenten, die man braucht. Das bringe einen riesigen Stress ins Unternehmen, sagt Rauscher. Seit eineinhalb Jahren müssen sie hier ständig Löcher stopfen.

„Vor zwei Jahren haben wir so einen Chip für Cent-Beträge eingekauft, jetzt zahlen wir irgendwas im mittleren zweistelligen Euro-Bereich“

Erik Rauscher, Produktionsleiter EBM-Papst

Ventilatoren, das klingt für Laien nicht nach Hightech, die Chiptechnik benötigt. Aber Papst-Produkte werden zur Kühlung und zum Lüften in fast allen Bereichen eingesetzt. Bei Pkws zum Beispiel, in Küchengeräten oder Klimaanlagen. Und auch in Beatmungsgeräten auf Intensivstationen und in Luftfilteranlagen, wie man sie zur Coronabekämpfung in den Schulen aufstellen wollte, steckt Technik von EBM-Papst. Ohne Halbleiter-Chips gebe es bei Ventilatoren – wie früher – nur „An“ oder „Aus“, vielleicht noch zwei verschiedene Geschwindigkeiten. Mehr nicht. Mit Chips hingegen lässt sich ein Ventilator stufenlos und energiesparend regeln, und zwar in Abhängigkeit vom CO2- oder Feinstaubgehalt in der Luft oder der Temperatur – je nachdem, mit welcher Steuerungseinheit man ihn verbindet. Erst der Chip macht den Ventilator schlau und flexibel.

Nachmittags in der Montageeinheit „PG3“. Es ist schon fast drei Uhr, aber die Menschen in den Blaumännern grüßen sich immer noch mit „Mahlzeit“. Vier Mitarbeiter bauen aus einem Metallgehäuse, einem schwarzen Propeller von einem halben Meter Durchmesser und einer Steuerungseinheit einen Ventilator für eine Wärmepumpe zusammen. Damit soll bald die Umgebungsluft eines Einfamilienhauses angesaugt werden. Wärmepumpen sind inzwischen ein Massenprodukt, drei von vier Neubauten werden so beheizt. Eigentlich sollen es noch mehr werden, jetzt, da die neue Bundesregierung den Klimaschutz richtig in Schwung bringen will.

Die Arbeiter in der Montage haben heute gut zu tun. Alle Bauteile sind vorrätig, da können fünf Pumpen in der Stunde rausgehen. „Das ist leider nicht immer so“, sagt der Fertigungsleiter Sebastian Erneker. Seit Corona läuft die Fertigung nicht mehr im Rhythmus der Aufträge, sondern nach dem stotternden Takt der Chiplieferungen. Wenn Chips da sind, wird produziert, wenn nicht, stapeln sich die anderen Bauteile in den Lagerhallen, die Kunden müssen vertröstet werden, die Neubauten werden nicht fertig. Auch für die Mitarbeiter ist dieses Stop-and-go eine Belastung. Mal müssen sie ihr Wochenende wegen Überstunden umplanen, dann wieder können sie drei Tage am Stück zu Hause bleiben. Manchmal beides in der gleichen Woche. „Da müssen wir viel erklären und die Gründe transparent machen“,sagt Rauscher ein bisschen knurrig. Ja, reden sei schon wichtig in diesen Krisenzeiten. „Aber man kann halt nicht immer nur schwätzen, wir müssen auch noch zum Arbeiten kommen.“

E-Mobilität, Photovoltaik, Unterhaltungselektronik oder Medizintechnik – alle Branchen rangeln im Moment auf dem Weltmarkt um die Halbleiter. Experten gehen davon aus, dass es auch ohne die Coronakrise zu einem weltweiten Chip-Engpass gekommen wäre. Denn eigentlich sind alle Zukunftstechnologien auf sie angewiesen. Und das Feld der Hersteller ist übersichtlich und hat einen deutlichen Schwerpunkt in China und Taiwan. Nur die wenigsten Produktionsstätten stehen in Europa und den USA. Da ist es schwierig für Firmen wie EBM-Papst, regionale Lieferketten aufzubauen. Und deshalb schlägt jede größere Störung auf dem Weltmarkt bis nach Mulfingen durch.

Bastelt mit dem, was noch zu bekommen ist: Der Entwicklungsingenieur Dominik Bauer (rechts) Foto: Benno Stieber

Noch konzentrierter ist das Herstellerfeld für so genannte Wafer, jenen schwarzen Silikonplättchen, die Grundlage der Chipproduktion sind. Da teilen sich im Wesentlichen fünf Hersteller mit Schwerpunkt in Fernost den Weltmarkt. Intel hat im Dezember angekündigt, ein Wafer-Werk in Deutschland zu errichten, um die Produktion näher an den europäischen Markt zu holen. So eine Anlage kostet Milliarden. Selbst die großen Firmen sind da auf staatliche Subventionen angewiesen.

Lange hat der Markt trotz des Hersteller-Nadelöhrs ganz gut funktioniert. Die letzte Chipkrise ist Jahre her, seitdem gab es eher zu viele Chips auf dem Markt. Mit dem Ausbruch von Corona sah es dann erst so aus, als würde die Nachfrage weiter sinken. Denn die Autohersteller – wichtige Abnehmer – stornierten weltweit ihre Chipbestellungen. Sie fürchteten, dass die Menschen in einer globalen Pandemie Wichtigeres zu tun haben, als Autos zu kaufen. Damit hatten sie erst mal recht, und so war es eigentlich richtig, die Produktion erst einmal zu drosseln. Doch gleichzeitig boomte durch den Lockdown die gesamte Heimelektronik. Intel, Infineon und andere waren froh, ihre überschüssigen Chips nun an Apple und Microsoft ausliefern zu können.

Und als dann die Weltwirtschaft ungeachtet der Pandemie wieder anzog, hätten viele Menschen auch gern wieder einen Neuwagen gekauft, vielleicht auch mit Elektroantrieb. Aber jetzt fehlten der Branche die Chips dafür.

Gleichzeitig waren die Länder, in denen die großen Chipfabriken stehen, zeitweise von harten Lockdowns betroffen, die auch ganze Fabriken lahmlegten. Zuerst China, dann Malaysia, wo die Fabriken aber auch weltweit wichtige Testeinheiten für die Chipherstellung stehen. Vor allem Malaysia sei „heftig gewesen“, sagt der EBM-Fertigungsleiter Sebastian Erneker.

„Die Zahlen nach zwei Jahren Pandemie sind nicht gut“

Unternehmenssprecher EBM-Papst

Und wenn man kein Glück hat, kommt oft auch noch Pech dazu. Im Februar 2021 mussten Chip­fabriken von Samsung und Infineon in Texas ihren Betrieb stoppen, weil Schneestürme die Stromversorgung gekappt hatten. Die sensible Technik musste überhastet heruntergefahren werden, sodass die Anlage nachhaltig beschädigt wurde. Im März des gleichen Jahres wurde eine große Anlage des Chipherstellers Renesas Electronics in Japan bei einem Großbrand beschädigt. Und Donald Trump war auch bei der Chipkrise nicht hilfreich: Die Sanktionen gegen China, besonders gegen den Elektrokonzern Huawei, verschärften die Lage zusätzlich.

Videokonferenz mit Mary Yan in Shanghai. Seit die Lieferketten so gestört sind, legt die Einkaufsdirektorin in der China-Zentrale von EBM-Papst ihre Handys eigentlich gar nicht mehr aus der Hand. Sie sitzt in ihrem Büro vor drei Bildschirmen, die Smartphones und das Tischtelefon immer im Blick. Fast rund um die Uhr schreibt und spricht sie im Moment mit Herstellern und Zwischenhändlern. Es ist ein persönliches Geschäft, bei dem lang gewachsene Kontakte zählen. Sie macht das seit 14 Jahren und es ist gut, dass sie als Chinesin auch die Zwischentöne in den Gesprächen versteht. Mary Yan berichtet von ihren alltäglichen Verhandlungen, bei denen Chips wie auf einer Auktion nach dem Höchstgebot verkauft werden, von Lieferanten, die beim Vertragsabschluss auf den vereinbarten Preis einfach noch mal ein paar Prozent draufschlagen: „Take it or leave it.“

Auch ungewohnt: Hersteller, die Mary Yan schon lange kennt, sagen sich jetzt plötzlich im Papst-Werk in Shanghai zum Besuch an. Sie wollen nachschauen, ob dort die georderte Menge von Halbleitern auch wirklich verarbeitet oder ob das rare Gut womöglich gehortet wird. Wo Mary Yan früher langfristige Lieferungszyklen vereinbarte, fängt sie jetzt jede Woche neu an: Mal fehlen 30 Prozent der geplanten Lieferungen, die sie über andere Kanäle ersetzen muss, mal sind es mehr. „Das ist wahnsinnig anstrengend“, sagt sie. Die Chipkrise hat ihr schon einige schlaflose Nächste beschert. In Shanghai ist es zwar schon Abend, aber nach dem Gespräch hat sie noch eine wichtige Verhandlung mit einem Lieferanten. Diesmal führt sie es gemeinsam mit Thomas Nürnberger, dem EBM-Vorstand in Mulfingen. Das soll die Dringlichkeit unterstreichen. Die Chipbeschaffung wird immer öfter zur Chefsache.

Neue Chips bauen kann man nur, wenn die Luft staubfrei ist. Doch um den Staub abzusaugen, müssen Lüftungen etwa mit diesen Chips gesteuert werden Foto: EBM-Papst

Etwas ruhiger geht es zur gleichen Zeit in der obersten Etage eines Neubaus auf dem Mulfinger Firmengelände zu. In der Entwicklungsabteilung sitzen junge Ingenieure in Kapuzenpullovern hinter Schreibtischen, die mit Messegeräten, Kabeln und Platinen übersät sind. Auch hier versuchen sie den Mangel, so gut es eben geht, in den Griff zu bekommen. Dominik Bauer macht Überstunden, um alternative Teile zu prüfen und Platinen und Schaltkreise so umzugestalten, dass die Chips, die Einkäufer wie Mary Yan beschaffen könnten, in den Ventilator passen, auch wenn eigentlich ein anderer Chiptyp vorgesehen war.

Das ist heikel. Unternehmen sprechen nicht gerne über das so genannte Redesign. Denn da kommt schnell der Verdacht auf, der Chipmangel führe zu Kompromissen bei der Qualität. „Das machen wir natürlich nicht“, sagt Bauer. Jeder neue Chip werde intensiv geprüft und sogar einem „Alterungsprozess“ unterzogen, sagt er. Denn Halbleiter sind eine verderbliche Ware. Ohne Qualitätsverlust sollte man sie nicht länger als zwei Jahre lagern. Gleichzeitig würden die Kunden über Änderungen in der Elektronikarchitektur informiert. „Wir machen das so transparent wie möglich.“ Oft sind es kleine Eingriffe, weil es tatsächlich nur darum geht, einen etwas größeren Chip auf einer Platine unterzubringen. Aber manchmal ist es eine halbe Neuentwicklung. Wenn auch die sogenannten Mikro-Controller knapp werden, also Chips, die gleich mehrere Aufgaben in einem Gerät übernehmen, dann müsste sogar Software umgeschrieben werden, um sie durch andere ersetzen zu können. Dann wird es sehr teuer.

Für Tüftler wie Bauer ist die Arbeit interessant. Man lernt, gewohnte Konstruktionen zu überdenken und vielleicht sogar besser zu machen. „ Die Arbeit lohnt sich“, sagt Bauer. Er habe jetzt noch viel mehr mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Abteilungen zu tun. Die freuen sich, wenn er hilft, die Produktion am Laufen zu halten. Aber eigentlich sollten sie hier im dritten Stock ja nicht an längst eingeführten Produkten herumbasteln. Sie sollten neue Produkte entwickeln und die alten effizienter, energiesparender und klimafreundlicher machen. Das ist eine Arbeit, die jetzt oft liegen bleibt. Die Folgen dieses Innovationsstaus werden im Unternehmen wohl erst in einigen Jahren sichtbar.

Früher bestellte sie einfach, heute muss sie jeden Tag neue Verhandlungen mit Lieferanten führen: die EBM-Einkäuferin Mary Yan in Shanghai Foto: EBM-Papst

Dabei schlägt sich die Chipknappheit heute schon in der Bilanz nieder. EBM-Papst gibt als Familienunternehmen keine Umsatzzahlen bekannt. Aber die gestiegenen Einkaufspreise schmälern den Gewinn, auch wenn langjährige Kunden oft bereit sind, einen höheren Preis zu bezahlen, der dann am Ende beim Verbraucher landet. Aber: „Die Zahlen nach zwei Jahren Pandemie sind nicht gut“, sagt der EBM-Unternehmenssprecher.

Was man schon weiß: Der Chipmangel bremst die Wirtschaft weltweit. Im vergangenen Jahr wurden in den USA beispielsweise fast 8 Millionen Autos weniger produziert. Die Lücke war wesentlich größer, als die Branche zu Beginn des Jahres angenommen hatte. Wer glaubt, das sei eine gute Nachricht für den Klimaschutz, der sollte sich klar machen, dass der Mangel an Siliziumplättchen auch E-Mobilität, intelligente Stromnetze und klimaneutrale Energieversorgung abwürgt. Auch deshalb bauen Hersteller neue Chip-Anlagen in den USA und Europa.

Am Ende könnte der Chipmangel sogar die Chipproduktion selbst behindern. Ernst Rauscher, der Produktionsleiter in Mulfingen, hat noch einen zweiten Halbleiter in seinem Tütchen mitgebracht. Im Vergleich zu dem ersten, winzigen ein richtiger Brummer. Er sieht aus wie ein schwarzer Radiergummi, in den jemand Drähte gebohrt hat. Das Plättchen kommt bei Lüftungsanlagen für Reinräume zum Einsatz, erklärt Rauscher. Staubfreie Labore also, in denen zum Beispiel auf die schwarzen Silikonplättchen die silbernen Verätzungen aufgebracht werden. Auch dieser Halbleiter wird inzwischen knapp. Aber ohne den Radiergummi-Chip keine Lüftung. Ohne Lüftung kein Reinraum. Ohne Reinraum kein Chip. Erwin Rauscher guckt ratlos. „Sehen Sie, da beißt sich die Katze in den Schwanz.“