Olympia-Spektakel und die Chinesen: In Peking und doch sehr weit weg

Mit der Bevölkerung haben die Winterspiele so gut wie nichts zu tun. Entsprechend groß ist das Desinteresse. Das Neujahrsfest ist wichtiger.

Pekinger Hochhäuser aus der Vogelperspektive betrachtet

Von hier ist Olympia doch sehr weit entfernt: Hochhäuser in Peking Foto: imago/phototek

Stell dir vor, es sind die Olympischen Winterspiele und keiner geht hin. Die Abwandlung der pazifistischen Parole umschreibt den Status quo in Peking ziemlich passend: Während die Olympionikinnen und Olympioniken im „Vogelnest“-Stadion einlaufen, ist die chinesische Hauptstadt leer wie eine Geisterstadt. Die Pekinger besuchen schließlich wie immer zur Neujahrssaison nach dem Mondkalender ihre Familien in den Provinzen.

Wer den verbliebenen Leuten das Reporter-Aufnahmegerät unter die Nase hält, bekommt dennoch eine ganze Menge Stolz zu hören: Vor allem, dass man als weltweit erster Ort sowohl Sommer- als auch Winterspiele ausrichtet, beflügelt das neugewonnene Selbstbewusstsein der Chinesen.

Endlich begegnet man dem Westen auf Augenhöhe, ist wirtschaftlich eine Weltmacht und technologisch auf dem Weg dahin. Die Olympischen Spiele bieten dafür genau die richtige Bühne. Doch wer genauer hinhört, kann sich des Eindrucks nicht verwehren, dass Olympia für die Pekinger mehr Pflichtübung als Gefühlssache ist.

Ich kann es ihnen beim besten Willen nicht verübeln. Die meisten hier haben ganz andere Sorgen. Der Alltag eines Mittdreißigers ist ungleich stressiger als der von den meisten „Wohlstandsdeutschen“: Die Mieten in Peking sind auf Münchner Niveau, die Löhne nicht mal ansatzweise. Die Erwartungen von Eltern, Gesellschaft und Chefs sind enorm. Wer hat da schon die Muße, sich groß mit Winterspielen zu beschäftigen? Die zarte Pflanze der Wintersportbegeisterung gedeiht nur langsam.

Die öffentliche Meinung über die Spiele kommt von oben

Und dennoch hat die merkliche Abstinenz öffentlicher Begeisterung auch System. Denn die Spiele haben tatsächlich sehr wenig mit der Bevölkerung zu tun: Die hatte nämlich rein gar nichts bei der Bewerbung für die Austragung mitzureden, ebenso wenig bei der Nachhaltigkeitsdebatte oder über den diplomatischen Boykott einiger westlicher Staaten.

Die Mieten in Peking sind auf Münchner Niveau, die Löhne nicht mal ansatzweise.

Sämtliche Meinungen wurden stattdessen von oben herab diktiert: In den Staatsmedien werden die staubtrockenen Berghänge plötzlich zu weißen Winterwunderländern, und die Kritik aus dem Ausland wird schlicht wegzensiert. Wenn Chinas Staatschef Xi Jinping in seinen Reden davon spricht, dass die Welt ihre Augen auf Peking richtet, dann würden wohl viele Leute ohne Ironie zustimmen. Dass weite Teile der Welt ebenjene Spiele als politischen Tiefpunkt eines immer autoritärer werdenden Staates betrachten, weiß nur ein kleiner Teil, denn die lästigen Störgeräusche werden von der Propagandabehörde schlicht stumm geschaltet.

Hinzu kommt die Pandemie, wegen der die Spiele vollständig hinter verschlossenen Türen stattfinden. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn die Stätten und Hotels der olympischen „Bubble“ sind allesamt von hohen Trennwänden umzäunt. Daher überrascht es wenig, dass sich die Spiele selbst von der Pekinger Nähe aus betrachtet sehr, sehr weit weg anfühlen.

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Seit 2019 China-Korrespondent mit Sitz in Peking. Arbeitete zuvor fünf Jahre lang als freier Journalist für deutschsprachige Medien in Seoul, Südkorea. 2015 folgte die erste Buchveröffentlichung "So etwas wie Glück" (erschienen im Rowohlt Verlag), das die Fluchtgeschichte der Nordkoreanerin Choi Yeong Ok nacherzählt. Geboren in Berlin, Studium in Wien, Shanghai und Seoul.

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