Geschichten von unabhängigen Kindern

Mit seinem unverkennbaren Illustrationsstil zog er Generationen von Kindern in seinen Bann. Ali Mitgutsch, der Vater der Wimmelbücher, verstarb mit 86 Jahren in München

Ali Mitgusch erfand den Wimmelstil Foto: Rolf Vennenbernd

Von Eva-Christina Meier

Bekannt wurde der Münchner Illustrator und Maler Ali (Alfons) Mitgutsch 1968 mit seinem Bilderbuch „Rundherum in meiner Stadt“. Auf großformatigen bunten Doppelseiten führte uns der Kinderbuchautor zu faszinierenden öffentlichen Orten des Alltags – zu einer Baustelle, in den Park, auf die Kirmes, ins Freibad oder zum Hafen. Auch das Innenleben eines Wohnhauses lässt sich gleichzeitig in vielen Szenen wie durch einen Querschnitt erkunden. Überall ist viel los – auf seinen Bildern wird gespielt, gerauft und allerhand Missgeschicke geschehen.

1969 wurde dieses textlose Sachbilderbuch mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnet. „Rundherum in meiner Stadt“ gilt als das erste Wimmelbuch im deutschsprachigen Raum (auch wenn dieser Genre-Begriff erst viel später gebräuchlich werden sollte.)

Seine frechen Bilder luden Kinder zum eigenmächtigen Betrachten, Entdecken und Erzählen ein

Seinen unverwechselbaren Bilderbuchstil entwickelte Mitgutsch danach weiter. Er ­veröffentlichte in den folgenden Jahren zahlreiche Bände über das Leben auf dem Dorf, am Wasser oder in den Bergen im Otto Maier Verlag Ravensburg. Als eine gelungenen Mischung von Lernen und Lachen beschrieb der Verlag 1971 den herausragenden Erfolg des ­Illus­tra­tors.

Bald waren seine Bildbände in jeder öffentlichen Bibliothek und zahlreichen Kindergärten der Bundesrepublik zu finden. Inspiriert vom gesel­lschaftlichen Wandel der 1968er Jahre luden seine unverwechselbaren, frechen Bilder Kinder zum eigenmächtigen Betrachten, Entdecken und Geschichten­erzählen ein. Denn auf einer einzigen Seite geschehen gleichzeitig große und kleine, lustige sowie dramatische Ereignisse. In den winterlichen Bergen findet ein Skirennen statt, der Krankenwagen transportiert einen Verletzten ab, Schneebälle fliegen und einer muss dringend auf Klo.

An diesem Strand würde man gerne mitplanschen. Aus: Ali Mitgutsch: „Mein schönstes Wimmelbilderbuch“ Foto: Ravensburger

Auf Ali Mitgutsch farben­frohen Illustrationen scheinen die Kinder weitgehend ­unabhängig von der Welt der Erwachsenen ihren eigenen ­Interessen zu folgen. Runde Gesichter und Knopfaugen ­dominieren das Geschehen. (Auch wenn rückblickend auffällt, welch untergeordnete Rolle die Mädchen in dem turbulenten Treiben der Kinder spielen und wie klassisch sich Rollenverhältnisse in Mitgutschs Büchern darstellen.)

1935 in München geboren, verbrachte Ali Mitgutsch das Ende des Zweiten Weltkriegs mit seiner Familie im Allgäu, aus München geflohen. Ein Leben lang blieb ihm die Erinnerung an die Wünsche und Träume seiner süddeutschen Kindheit präsent. Seine frühen Erfahrungen leiteten den Zeichner mit sicherem Gespür und ließen ihn eine ­faszinierende und einzigartige Bildwelt erschaffen, die Kinder bis heute berührt. Am 10. Januar 2022 ist Ali Mitgutsch im Alter von 86 Jahren in München ­gestorben.