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Warnung vor dem Zombie

Was, wenn die Bevölkerung Deutschlands zu anthropophagen Untoten mutiert? Die Reihe „Zombie Zone Germany“ spielt's durch. In „Elegie“ erwischt es endlich die Lüneburger Heide

Von Benno Schirrmeister

Zombies also. In der Lüneburger Heide. Warum auch nicht? Dass sich nahezu die Gesamtbevölkerung Deutschlands im Frühjahr 2020 im Nu in eine Gesellschaft wandelnder Toter verwandelt hat, angetrieben von einem erheblichen Appetit auf die wenigen Exemplare nach wie vor durchbluteter und denkender Menschen, bildet den Rahmen von Zombie Zone Germany.

So heißt eine Buchreihe, oder genauer: ein Buchnetzwerk des Amrûn-Verlags, das seit 2015 wuchert. Verschiedenste Au­to­r*in­nen spielen in je ihrer Region durch, wie sich das Katastrophenszenario dort in der Bevölkerung abbildet. Obwohl ihr Erfinder Torsten Exter selbst in Lüneburg lebt, war Norddeutschland bislang keiner ihrer Schauplätze. Der Roman „Elegie“, erschienen im November, hat das geändert. Er spielt irgendwo bei Schneverdingen und ist ein Roman. Geschrieben hat ihn Janika Rehak.

Es stimmt ja, das Konzept könnte an die unseligen Regionalkrimis erinnern, die Kolorit als Verkaufsargument nutzen. Vermutlich in sämtlichen Ferienregionen Deutschlands entlarven mittlerweile irgendwelche pseudooriginellen Dorfpolizisten psychopathische Frauenserienmörder: schlimm. Das Potenzial von Zombie Zone ist aber viel größer. Das liegt an der Einpassung der diversen Fiktionen in ein Netzwerk von Geschichten: Ein solcher Ansatz sozialisiert das Erzählen.

Zugleich ist der Zombie-Mythos selbst vieldeutig, faszinierend und problematisch: Seine popkulturelle Karriere beginnt im frühen 20. Jahrhundert, ausgehend von Haiti. Dortige Vergiftungs- und Betäubungspraktiken der Vaudou-Geheimgesellschaften inspirierten ab den 1920ern Hollywood-Horrorfilme. Deren Schrecken speist sich aus der Angst vorm Schwarzen Menschen, vor der Rache befreiter Sklaven – und der Sorge, die Karibikstaaten könnten der Kontrolle der USA entgleiten.

Von diesem Rassismus befreit hat ihn erst Regisseur George A. Romero in der Hochphase des Punk: Seine Aneignung der Figur hat deren kritisches Potenzial freigelegt. Seine Klassiker „Night of the Living Dead“ und „Zombie“ hatten Gesellschaft entworfen als Ansammlung von auf ihren Konsumdrang reduzierten Personen: Nix Individuum, nix Subjekt, nix Empathie, nur – ganz anders als die schlafwandelnden Opfer eines schwarzmagischen Bokor auf Hispaniola – fressen, fressen, fressen. Was? Die schwindende Schar lebendiger Menschen natürlich.

Dieses Muster greift Zombie-Zone Germany auf. In den Blick nimmt das Netzwerk dabei eine strikt geschlossene Gesellschaft. Anders nämlich als in einer herkömmlichen Seuche – wie etwa Corona – erweist sich die Zombifikation als endemisch. Heißt: Sie breitet sich nicht global, ja noch nicht einmal über irgendwelche Staatsgrenzen hinweg aus.

Die dichtzumachen, also die Deutsch­land­be­woh­ne­r*in­nen auf sich selbst zurückzuwerfen und ihnen mit Waffengewalt den Übertritt zu verwehren, ist die folgerichtige Infektionsschutzstrategie, zu der dänische, niederländische und, elbaufwärts, tschechiche Nachbarn greifen. Wobei: Ausgerechnet Letztere scheinen in Rehaks Vision Auffanglager für Geflüchtete zu unterhalten. Man merkt: Es handelt sich um Fantastik. Im wahren Leben hat Tschechien 2021 gerade mal 130 Flüchtlinge aufgenommen.

Die Konstellation, die Rehak ersonnen hat, ist bemerkenswert: Sie kreuzt die Konvention des Zombie-Schockers mit jener der Künstlererzählung – also der Tradition, in der die europäische Literatur sich bevorzugt radikal autonome Subjekte als Geistesheroen vorgestellt hat, von Lord Byrons Manfred und Honoré de Balzacs Lucien Chardon bis zu – ach, die Reihe ist unendlich lang. Leider bedient sich Rehak nur ihrer abgedroschenen Stereotype, ohne sie mit denen des Horrorromans in Konflikt zu bringen. Nicht mal die Überrepräsentanz männlicher Genie-Entwürfe versucht sie zu brechen. Als Hauptfigur setzt sie den verträumten Star-Pianisten Leon Yoshio Maibach in Szene.

Der ist von Hamburg-Bergedorf nur wenige Monate vor dem Ausbruch aufs Land gezogen: Das Anwesen, das er bewohnt, hat die Ausmaße eines mittleren Herrenhauses, eine Pferdekoppel gehört zum Grundstück. Und auch eine Stute ist angeschafft worden für die ferne Geliebte Fenja, die zwar den Umzug forciert hatte, aber dann nicht mitgekommen war.

Janika Rehak kreuzt die Konvention des Zombie-Schockers mit der des Künstlerromans, in dem die europäische Literatur radikal autonome Subjekte gestaltet hat

Statt ihrer ist die Halbschwester Kiyomi aus Tokio – die Mutter des Virtuosen hat einen Lehrstuhl für Japanologie an einer skandinavischen Uni, der Vater lebt in Japan – eingezogen: Es entspinnt sich eine Lolita-Inzest-Geschichte, die Rehak leider eher klebrig-vorhersehbar als geheimnisvoll-erotisch geraten ist: Kiyomis Todessehnsucht, literarisch etwas ambitionierter durch ein Gruselmärchen eingeführt, das japanische Folkloretraditionen imitiert, ist zwar neben Erdbeergeruch die wichtigste Eigenschaft der Figur. Sie reicht aber leider nur für bestenfalls anstößige Eskapaden. Kostprobe: „Ihr Lächeln bekam etwas Lockendes. Sie stellte das rechte Bein über die Lehne. Der winzige Rock rutschte nach oben“ – und so weiter. Statt zu Liebe in Zeiten der Katastrophe, zu monströser Leidenschaft, kommt's nur zu Mangasex im Angesicht der Untoten-Gefahr. Die rascheln indes nur dann und wann durchs Gebüsch oder huschen in der Ferne vorbei. Und der Pianist darf nicht Klavier spielen – weil Musik die Biester anlockt, die Erfahrung wurde schon gemacht.

Frust, Schmacht und Ereignisarmut wären literarisch eine Chance gewesen für Angst und Unruhe statt Splatter. Die aber vertut das Buch durch kompositorische Betriebsamkeit – Zeitsprünge, eingeschobene Träume, Vor- und Rückblenden. Wenig plausibel finden etliche Zombiekatastrophenflüchtlinge aus Hamburg den Weg ins Maibach-Anwesen, wo sie eine diversifizierte Notgemeinschaft bilden.

Deren interne Spannungen bekommt Rehak erzählerisch nicht zu fassen. Gesellschaftliche Fragen, die sich in einer per Zombiefiktion übersteigerten Realität hätten verhandeln lassen, interessieren sie verblüffend wenig – dabei wird Rehak doch als nicht nur gewerkschaftlich engagierte Persönlichkeit in Niedersachsen und Bremen geschätzt.

Noch unterbelichteter bleiben die regionalen Spezifika: Das Grab von Hermann Löns, von den Nazis geradezu kultisch verehrt, wird als Pilgerstätte einer Dorfjugend erwähnt, mit der demnach auch vor der Katastrophe irgendetwas nicht gestimmt haben kann. Ansonsten ruht die Lüneburger Heide sanft im Hintergrund. Nicht mal Zombies können sie beleben.

Janika Rehak: „Elegie“, Amrûn-Verlag 2021, 300 S., 12,90 Euro

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