piwik no script img

Im Lampenladen

Eigentlich hätte das Künstlerduo Drift den fünften Geburtstag der Hamburger Elbphilharmonie gestalten sollen. Das wurde wegen Corona verschoben. Eine kleine Werkschau zeigt nun das Museum für Kunst und Gewerbe

Von Falk Schreiber

Wie Quallen schweben die Objekte durch das Treppenhaus. Kleine, von innen beleuchtete Stoffschirme, bewegen sich lautlos auf und ab, im Sinken bläht sich ihr Stoffkleid, im Heben zieht es sich zusammen. Schön. In seiner sanften, stillen Schönheit allerdings auch ein wenig gefällig, was sich da gerade im zentralen Aufgang des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe (MKG) erleben lässt.

Dieser Tage feiert die Hamburger Elbphilharmonie ihren fünften Geburtstag. Intendant Christoph Lieben-Seutter wünschte sich zum Jubiläum eine Kunstaktion, etwas Spektakuläres, das über das erwartbare Feuerwerk hinausweist (wobei das Feuerwerk zur Eröffnung vor fünf Jahren doch eigentlich ganz hübsch war). MKG-Direktorin Tulga Beyerle habe ihm dann die Zusammenarbeit mit dem niederländischen Studio Drift nahegelegt. Gegründet in den Nullerjahren von Lonneke Gordijn und Ralph Nauta, entwickelt Drift aufwendige kinetische Installationen an der Grenze zwischen Design und (Raum-)Kunst. Mittlerweile eine Art künstlerischer Großkonzern mit 64 Mit­ar­bei­te­r*in­nen – unter anderem für Technik, Architektur und Design –, entwickelte Drift für die Elphi „Breaking Waves“: Eine Art Drohnenballett sollte da das Konzerthaus umschwirren. Weil das angesichts der hohen Corona-Inzidenzen aktuell in Hamburg nicht realisierbar ist, wurde „Breaking Waves“ auf den 28. April verschoben –in der Hoffnung, dass so ein Event dann auch vor großem Publikum möglich ist.

Drift – ­Moments of Connection: bis 8. 5., Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg (2G). „Breaking Waves“: 28. 4., Elbphil­harmonie

Angesichts dieser Umstände wirkt die kleine Werkschau, die Beyerle in ihrem Museum ausgerichtet hat, ein wenig unvollständig. „Nur drei Arbeiten!“, zeigt sich ein Kollege beim Presserundgang enttäuscht, und, ja, aus quantitativer Perspektive ist „Moments of Connection“ dünn geraten. Allein: Drift, das sind nicht wirklich Museumskünstler*innen, sie brauchen das große Event, in dessen Rahmen sich ihre ästhetische Wucht entfalten kann. Nicht nur, dass „Moments of Connection“ die erste Einzelausstellung des Duos in der Bundesrepublik ist, auch international taten sich die Institutionen lange schwer mit Drift, ungeachtet des großen kommerziellen Erfolgs.

Im MKG ist nun also die eingangs beschriebene Treppenhaus-Installation „Shylight“ (2006) zu sehen, ein Maschinentheater (zu dem passenderweise eine kaum hörbare Kammeroper von Phillip Glass erklingt) sowie die beiden Raumarbeiten „Fragile Future III“ (2005) und „In 20 Steps“ (2015). Wenig für eine Werkschau, ermöglichen diese drei Projekte aber schon zu zeigen, wie Drift arbeitet: Es geht hier um ausgeklügelte Technik, die jeweils einen ganzen Raum in Beschlag nimmt; und es geht darum, diese Technik mit organischen Positionen in Verbindung zu setzen.

Bei „Fragile Future“ sind das unzählige Leuchtelemente, die den Ausstellungsraum zu überwuchern scheinen. Einerseits erinnern diese sanft vor sich hinglühenden Objekte an eine molekulare Struktur, andererseits ist ihr organischer Charakter unübersehbar: Es handelt sich um Löwenzahnsamen, in die kleine LED-Lampen hineinmontiert wurden. Die Installation wirkt also nicht nur wuchernd, es sind tatsächlich Samen: Pflanzenkeime, die der Fortpflanzung dienen und so, zumindest theoretisch, ungeordnetes Wuchern in sich tragen.

Drift tut unrecht, wer diese Kunst vor allem als Dekoration an der Grenze zum Kitsch kategorisiert

In rund 20 Minuten sei einer der winzigen Leuchtlöwenzähne hergestellt, erzählt Lonneke Gordijn: ein kleiner Hinweis darauf, was für eine Arbeitsleistung in der riesigen Installation liegt. Gordijn möchte hier ein „Statement gegen Massenproduktion und Wegwerfgesellschaft“ setzen, was nicht sofort einleuchtet – aber immerhin geht „Fragile Future“ als Feier der nerdhaften Heimarbeit durch. Und als Kunstwerk, das einen gleichzeitig mit der warmen Freundlichkeit eines Lampenladens einspinnt, bevor man sich fragt, ob sich hinter der künstlerischen Glätte des Gezeigten womöglich noch etwas regt, ein organisches Gespinst, dessen Wachsen sich irgendwann der Kontrolle entziehen wird?

Ähnlich auch die Skulptur „In 20 Steps“. Eine Konstruktion aus 20 Glasröhren hebt und senkt sich langsam, man denkt an sanften Wellengang, an den beruhigenden Charakter von an- und abschwellender Dünung. Bis man plötzlich erkennt, dass das Ganze auch ein lebendes Wesen sein könnte; man entdeckt Rippen, die von einer wirbelsäulenartigen Strebe verbunden sind – und der Wellengang wird zur Bewegung, ein Krampfen und Strecken, eine tänzerische Aktion fast. Hier wird die Nähe der Drift-Ästhetik zur Darstellenden Kunst deutlich, eine Verwandtschaft, die sich auch schon in der Kammeroper-Installation „Shylight“ zeigt.

Es wird aber auch klar, dass Drift unrecht tut, wer diese Kunst vor allem als gefällige Dekorationskunst an der Grenze zum Kitsch kategorisiert. Ja, die im Rahmen von „Moments of Connection“ gezeigten Arbeiten sind leicht zugänglich, sie begeistern durch ihre Detailtreue und dadurch, dass man ihnen ansieht, wie viel in sie investiert wurde. Aber sie haben einen doppelten Boden, der weit über die harmlosen Handreichungen hinausweist, die die Ausstellung den Installationen zugesteht: „Man meint, den Flügelschlag eines Vogels in Zeitlupe zu sehen“, steht da etwa über „In 20 Steps“, und ja: Da ist etwas dran. Man meint aber auch, eine organische Struktur zu sehen, eine Bewegungsabfolge, und dass man diese Bewegung nicht bis ins Letzte nachvollziehen kann, ist ein zutiefst beunruhigendes Gefühl.

Ein zentrales Element bei Drift ist das Aufeinandertreffen von Technik und organischer Struktur. Bei Licht betrachtet, sind die Arbeiten fast reine Technik, allerdings: Die künstlerische Leistung dieser Installationen liegt darin, die vermeintliche Sicherheit dieser Betrachtung zu erschüttern. Bis man glaubt, dass da Dinge passieren, die von der analytischen Sicherheit des Betrachters gar nicht mehr erfasst werden können. Das ist der Moment, in dem aus Dekoration Kunst wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen