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Die Wolken unserer vernetzten Gegenwart

Die Ausstellung „Songs of the Sky. Photography & the Cloud“ bei C/O Berlin beschäftigt sich mit analogen und digitalen Wolkengesichtern und ihrem Einfluss auf die Kunst

Von Ronald Berg

„In der aktuellen künstlerischen Fotografie sind Wolken überraschend präsent“, diagnostiziert eine Ausstellung über Wolken bei c/o Berlin, dem Ausstellungshaus für „alle Facetten der Fotografie“, die Ausgangslage. Auch das Gros der Urlaubsbilder und Schnappschüsse von Amateuren schenkt dem Hintergrund mit Himmel und Wolken kaum größere Aufmerksamkeit. Dass vorhandene Wolken bei Aufnahmen im Freien ins Bild gelangen, lässt sich auch kaum vermeiden.

Das war nicht immer so. Und hier, an der Historie, setzt die künstlerische Recherche ein, für die Hauskuratorin Kathrin Schönegg bei c/o Berlin rund zwei Dutzend fotografische Positionen über das Thema Wolke zusammengestellt hat. Die frühe Fotografie hatte nämlich das Problem, dass Wolken am Himmel kaum sichtbar waren. Das hauptsächlich blauempfindliche Aufnahmematerial sorgte dafür, dass der Himmel zu hell wiedergegeben wurde. Wolken hoben sich kaum gegen den blauen Äther ab, während die Landschaften darunter zu dunkel blieben.

Die damalige Lösung: Der „richtig“ fotografierten Landschaft wurde ein mittels Filtern „richtig“ belichteter Wolkenhimmel einkopiert. Als die digitale Fotografie ab den 1990er Jahren vom analogen Vorläufer die Vorherrschaft zu übernehmen begann, lenkte die Kunst mit Fotografie ihr Interesse noch einmal zurück auf diese Anfänge des fotografischen Mediums. Was der Fotografie mit ihrer Digitalisierung verloren zu gehen drohte, waren nicht nur jene technischen Unzulänglichkeiten, sondern die fast magische Emanation des Gewesenen aufgehoben in Silbersalzen.

Was früher Materie war, das ist heute ersetzt durch Data. Bei c/o Berlin sieht man daher nicht nur alte schwarz-weiße Fotografien mit einkopierten Wolkenhimmeln, sondern auch „Abdrücke“ des Lichts, die ganz ohne Kamera und Linse entstanden sind und wegen der schon im 19. Jahrhundert benutzten blauzeichnenden Cyanotypie (Blueprint) wie Himmelsbilder anmuten.

Die Wende zum Digitalen in der Fotografie hat inzwischen allerdings noch eine andere Pointe parat: Wenn jetzt Wolkenaufnahmen zu sehen sind, dann ist die „Cloud“, der heute die meisten Fotos entspringen, im Bild selbst gar nicht sichtbar. Die Künstler können nur konzeptualisieren bzw. kontextualisieren, dass Überseekabel und Satellitenfunk als Technik der Cloud weder am Bade­strand noch am Wolkenhimmel sichtbar sind.

Der Begriff „Cloud“ ist ironischerweise eine sehr wolkige Bezeichnung, weil die technische Infrastruktur, die die Cloud tatsächlich benötigt, damit gleichsam un(an)greifbar anmutet. Es waren die Entwickler von Computernetzwerken, die in ihren grafischen Schemata für ihre technisch komplexen Systeme das Symbol der Wolke erfunden haben, das dem Cloud Computing seinen Namen gegeben hat.

Mario Santamaría hat diese rudimentären Wolkenkringel in US-Patentschriften der letzten 40 Jahre ausfindig gemacht. Bei c/o Berlin sind sie nun zu sehen – und zwar neben alten Wolkenatlanten aus der Meteorologie, in denen die so ungreifbaren Wolkenerscheinungen klassifiziert werden nach der Methode. Aus den Wolkenfotos werden Begriffe: Stratus, Cumulus, Cirrus, Nimbus.

Die frühe Fotografie hatte nämlich das Problem, dass Wolken am Himmel kaum sichtbar waren

Dass mit dem Begriff Cloud aus dem großkapitalistischen Geschäft mit Daten und dem damit verbundenen gigantischen Verbrauch an Energie und Ressourcen etwas scheinbar Immaterielles gemacht wird, ähnelt allerdings einer Verschleierungstaktik. Die zeitgenössische Kunst sorgt hier für Aufklärung, auch wenn es schwierig ist, das eigentlich Unsichtbare sichtbar zu machen.

Almut Lindes Fotos gelingt auch das letztendlich nur im Gespann mit sprachlicher Begrifflichkeit. Lindes vermeintlich so schöne Serie von Wolkenfotografien zeigt nämlich nicht nur Wolken am Himmel, sondern damit zugleich den Ausstoß von 29,3 Tonnen CO2 des Braunkohlekraftwerks Frimmersdorf innerhalb von drei Minuten.

Das Cloud-Computing mit seinem extremen Energiebedarf – und damit eigentlich auch jeder User am heimischen PC – hat einen Einfluss auf das Klima, sein Einfluss reicht bis hin zu den Leuten in Ländern wie Ghana, die zum Lebensunterhalt Elektroschrott verbrennen, um an Buntmetall zu kommen – dabei aber eben auch giftige schwarze ­Wolken in den Himmel steigen lassen. Mit Louis Hendersons Video über diese Praxis schließt der Parcours bei c/o Berlin ab. Die vorgestellten Ansätze der Kunst mit Fotografie der letzten Jahre bieten ein weites Panorama, in dem sich anhand des Begriffs der Wolke/Cloud viel aus unserer vernetzten Gegenwart offenbart.

So ist auch die Fotografie selbst heute eingesponnen in ein globales System, von dem Computernetzwerke, Waren- und Dienstleistungsverkehr, Rohstoffverbrauch oder Klima allesamt nur Teile sind. Nur dass die Fotokunst die besondere Fähigkeit besitzt, diese Verflechtungen wenigstens ein Stück weit sichtbar zu machen, während die übliche Rede von der „Cloud“ sie eher verschleiert.

Bis 2. April, C/O Berlin, Begleitpublikation (Spector Books, Leipzig) 36 Euro

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