abtreibungen
:

Liberalisierung in Chile gescheitert

Das Abgeordnetenhaus hat überraschend gegen die Entkriminalisierung von Abtreibungen gestimmt. Der linke Präsidentschaftskandidat Gabriel Boric muss sich nun verantworten, denn er erschien einfach nicht

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires

In Chile ist die Liberalisierung des Abtreibungsrechts gescheitert. Am Dienstag stimmte das Abgeordnetenhaus mit knapper Mehrheit gegen das Gesetz zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Bei einer Enthaltung stimmten 65 Abgeordnete dagegen und 62 Abgeordnete dafür.

Kernpunkt des Gesetzes ist die Legalisierung eines freiwilligen Schwangerschaftsabbruchs innerhalb der ersten 14 Schwangerschaftswochen. Ende September hatte das Abgeordnetenhaus mit der Mehrheit der Mitte-links-Koalition „im Allgemeinen“ für das Gesetz gestimmt. Bei der Abstimmung am Dienstag ging es um das Gesetz „im Einzelnen“. Pikanterweise stimmten dabei nicht nur fünf Abgeordnete der oppositionellen Mitte-links-Koalition gemeinsam mit den Abgeordneten der rechten Regierungsallianz gegen das Gesetz. Einige Abgeordnete der Opposition erschienen erst gar nicht, darunter der linke Präsidentschaftskandidat Gabriel Boric.

„Wir werden so oft es nötig ist verlieren, um eine freiwillige, legale und kostenlose Abtreibung zu erreichen“, sagte die sichtlich enttäuschte Abgeordnete Maite Orsini von der linken Revolución Democrática. Noch ist unklar, wann das Gesetz dem Kongress erneut vorgelegt werden kann. Das übliche Verfahren verlangt ein Jahr Pause. Da das Abgeordnetenhaus der Gesetzesvorlage „im Allgemeinen“ jedoch zugestimmt hat, könnte sich die Frist verkürzen.

Bei den Rechten hingegen herrscht Zufriedenheit. Präsident Sebastián Piñera hatte sich stets gegen das Vorhaben ausgesprochen. „Die Frau hat das Recht auf ihren Körper, aber das ungeborene Kind gehört nicht dazu“, begründete der Abgeordnete Diego Schalper von der Renovación Nacional seine Neinstimme und wurde noch deutlicher: „Nicht, weil Verbrechen im Ausland begangen werden, möchte ich, dass sie auch in Chile begangen werden“, so Schalper und bezog sich auf die Ende 2020 beschlossene Liberalisierung des Abtreibungsrechts im Nachbarland Argentinien.

Der rechtsextreme Kandidat bei der Stichwahl um das Präsidentenamt am 19. Dezember, José Antonio Kast, liegt voll auf der Linie der Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen. Der linke Kandidat Gabriel Boric hingegen muss jetzt erklären, warum er als Abgeordneter der Abstimmung im Plenum ferngeblieben war, nachdem er bei der Sitzung im September noch für das Gesetz gestimmt hatte.

Chiles striktes Abtreibungsverbot war 2017 erstmals gelockert worden. Seither sind Abbrüche erlaubt, wenn eine Gefahr für das Leben der Mutter besteht, der Fötus keine Überlebenschance hat, oder die Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung ist. Sonst drohen den Frauen und beteiligten Ärz­t*in­nen bis zu fünf Jahre Gefängnis. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums werden dennoch jährlich bis zu 33.000 heimliche Abtreibungen vorgenommen. Unabhängige Frauengruppen schätzen die Zahl auf bis zu 70.000.