Journalistisches Start-up Flip: Funktioniert das auch?

Das journalistische Start-up Flip prüft, ob Unternehmen das halten, was sie versprechen. Ihr bisher größtes Projekt ist die „Sneakerjagd“.

Zwei alte Turnschuhe

Weg mit den alten Tretern. Und dann? Foto: Kasper Nymann/imago images

Felix Rohrbeck ist noch nicht wieder ganz fit. Nur anderthalb Tage sind vergangen seit seinem Rückflug von Nairobi nach Hamburg. In Kenia hat er versucht, die alten Puma-Sneakers von Linda Zervakis aufzuspüren, die er wenige Wochen zuvor selbst in einen Altkleidercontainer gab. Er und sein Team hatten die Schuhe mit einem GPS-Sender versehen und konnten nachverfolgen, wie sie erst in einem Second-Hand-Shop in Altona verweilten und anschließend über Antwerpen, den Suezkanal und Oman auf dem größten Klamottenmarkt Nairobis landeten.

Dort ließ sich Rohrbeck von einer Boutiquebesitzerin erklären, wie die Textilschwemme aus dem Ausland der lokalen Industrie schadet, und er besuchte eine Mülldeponie, auf der der überwiegende Teil der importierten Kleidung und Schuhe am Ende vergammelt. 

Mit der „Sneakerjagd“ will das journalistische Start-up Flip die Recyclingversprechen großer Modemarken überprüfen. Promis wie Jan Delay, Joy Denalane und Carolin Kebekus gaben dafür ihre alten Treter ab, die Flip-Redaktion warf sie in Altkleidercontainer und Recyclingboxen von Zara, Nike oder Adidas, die damit werben, ihnen „ein neues Leben zu schenken“.



Die „Sneakerjagd“ ist das bisher aufwendigste Projekt der jungen Hamburger Redaktion, die sich mit ihrer Berichterstattung kein geringeres Ziel gesetzt hat, als „zu einer besseren Wirtschaft beizutragen“. Mit all den -tivs, die immer wieder fallen, wenn Menschen befragt werden, für welchen Journalismus sie Geld ausgeben würden: interaktiv, innovativ, investigativ, konstruktiv.

Action-Verbraucherjournalismus für eine junge Zielgruppe also?

 Das Kerngeschäft von Flip ist allerdings nicht die Sneakerjagd, es sind Checks, sogenannte „Flips“, bei denen einzelne Produkte, Unternehmen und Initiativen auf Greenwashing und generelle Wirksamkeit überprüft werden.

„Wir hatten einfach das Gefühl, dass auf diesem riesigen Nachhaltigkeitsfeld unter Verbrauchern große Unsicherheit herrscht. Was hilft wirklich, was gibt vor, ein Problem zu lösen, das es gar nicht gibt?“, sagt Felix Rohrbeck. „Wir waren uns einig, dass in dem Bereich ein Akteur fehlt, der harte Recherchen macht und das dann lösungsorientiert weiterdenkt.“ Mit „wir“ meint der 41-Jährige sich und seinen Kollegen Christian Salewski. Beide arbeiteten zusammen bei der Financial Times Deutschland, später recherchierten sie gemeinsam jahrelang zum Cum-Ex-Skandal, Rohrbeck bei der Zeit, Salewski bei „Panorama“. 



9.300 Newsletter-Abos

Bei Rohrbeck sei irgendwann der Wunsch gereift, Wirtschaftsthemen nicht immer nur so zu beackern, dass das Gefühl übrigbleibe, alles sei schlimm und korrupt, sondern sie so anzugehen, dass am Ende irgendwem geholfen ist. Mit den Checks, den „Flips“, wollen sie ihre Nut­ze­r:in­nen unterstützen, gewissenhafte Kauf- und Investitionsentscheidungen zu treffen.

Ist der „Recup“ wirklich so viel besser als ein Einwegbecher? Hält die Öko-Bank Tomorrow ihre Nachhaltigkeitsversprechen? Und kann die Initiative Brand New Bundestag für mehr Diversität im Parlament wirklich was bewirken? 

Die „Flips“ sind nach dem immer gleichen Muster aufgebaut: Was ist das Problem? Funktioniert das auch? Was sagen die Ex­per­t:in­nen?

Abschließend eine kurze Einschätzung aus der Flip-Redaktion als Sprachaufnahme. Den Er­fin­de­r:in­nen des Produkts wird dabei in der Regel der meiste Raum gegeben: Sie dürfen unter „Funktioniert das auch?“ erklären, was ihr Produkt so revolutionär macht. Die Bewertung des oder der Ex­per­t:in, beispielsweise von der Verbraucherzentrale oder einer NGO, fällt im Verhältnis meist ein wenig knapper aus.

Am Ende entscheiden die Leser:innen: Über einen Button im kostenlosen Newsletter, für den sich bisher etwa 9.300 Menschen registriert haben, geben sie einen Score ab. Das Endergebnis prangt dann später als knallroter Stempel auf der Flip-Website. Dafür, dass dieser Score groß inszeniert wird, erfährt man recht wenig darüber, wie er zustande kam. Wie viele Menschen haben abgestimmt? Was sind ihre Begründungen? Laut Felix Rohrbeck seien es immer mehrere Hundert Leser:innen.

Um es zu manipulieren, müsste man sich dementsprechend Dutzende Fake-Accounts anlegen. „Aber wir sind da definitiv noch am Anfang“, sagt er. Ein Gegenmodell zum dreckigen Geschäft mit den Ökosiegeln sei es allemal.



Und warum den Le­se­r:in­nen so viel Entscheidungsgewalt geben über eine Recherche? Felix Rohrbeck sieht den Flip-Score als Zusammenspiel zwischen Redaktion und User:innen: „Wir tragen die Fakten zusammen und unsere Leser oder Leserinnen treffen eine Bewertung“, sagt er.

Eine dauerhafte Finanzierung gibt es noch nicht

„Es entsteht da ja auch eine Crowd-Intelligenz, die hilfreich ist bei Fällen, wo man sich drüber streiten kann, wie gut ein Produkt oder eine Initiative ist.“ 

Was die Redaktion außerdem beschäftigt: Welchen Hersteller, beispielsweise für Periodenunterwäsche, schaut man sich genauer an, wenn es doch schon so viele Anbieter gibt? Und was ist mit Follow-up-Recherchen? Manche Start-ups, die anfangs alles richtig gemacht haben, werden später von größeren Unternehmen gekauft. Mit ihrem Produkt müsste man sich dann eigentlich von Neuem beschäftigen.

Und wie fühlt sich das für Wirt­schafts­jour­na­lis­t:in­nen eigentlich an, wenn es bei einem „Flip“ ganz und gar nichts auszusetzen gibt? „Das fiel uns am Anfang schon schwer, wir sind ja gepolt darauf, das Haar in der Suppe zu finden“, sagt Rohrbeck. „Aber mittlerweile kann ich mich richtig freuen, wenn rauskommt, dass ein Produkt oder eine Initiative tatsächlich was verändert.“ Trotzdem bringen Recherchen, wie die zu dem Putzmittelhersteller Everdrop, der bei Flip krachend durchfiel, wohl die meiste Aufmerksamkeit.



Das Start-up arbeitet aktuell noch ausschließlich mit freien Mitarbeiter:innen. Die Anschubfinanzierung kam von Stiftungen und Rechercheförderungen, ein nachhaltiges Modell gibt es noch nicht. Etwas Umsatz machen sie unter anderem mit sogenannten Flipboxen, in denen sich fünf Produkte mit den höchsten Flip-Scores befinden und ein umfangreiches Magazin.
 Die Suche nach der passenden Finanzierung ist eine der Herausforderungen, die Felix Roherbeck und seine Kol­le­g:in­nen auf das nächste Jahr schieben.

Eine andere ist die Frage, was folgen soll aus so großangelegten Recherchen wie der Sneakerjagd. Wie weit sie gehen wollen, um „zu einer besseren Wirtschaft beizutragen“ und ob das noch journalistisch wäre.

„Wir wissen noch nicht, ob wir konkrete Forderungen an die Politik stellen oder recherchieren, wie ein wirklich nachhaltiger Sneaker aussehen müsste“, sagt Rohrbeck. Auch eine Petition zu starten, schließt die Redaktion nicht aus. Das sei alles aber noch ganz vage. Sicher ist nur: Den Segen der Community braucht’s.

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