grandios gescheitert: Anne Frank wird doch kein Elchzwerg
Anne Frank – ist das nicht ein Name aus jener dunklen Zeit, die schon so lange vorbei ist, dass man damit lieber nicht mehr die eigenen Kinder behelligen will? Das ist eine Frage, die sich um das Kinderwohl schwer besorgte Eltern und Erzieher im thüringischen Elxleben gestellt haben. Und sie fanden auch eine Antwort: Den lieben Kleinen sei nicht mehr zu vermitteln, wer Anne Frank wirklich war, befanden sie. Weswegen die nach ihr benannte kommunale Kindertagesstätte einen neuen Namen erhalten sollte. Vorwärts immer, rückwärts nimmer!
Bundesweit sind Kindertagesstätten, Schulen oder auch Straßen nach der Tochter deutscher Reformjuden benannt, die mit ihren Eltern 1934 in die Niederlande floh, ab 1942 in einem Amsterdamer Versteck ihr berühmtes Tagebuch schrieb und 1945 im KZ Bergen-Belsen 15-jährig kurz vor dem Kriegsende dem nationalsozialistischen Holocaust zum Opfer fiel. 1981, also zu DDR-Zeiten, wurde die Kita in Elxleben nach Anne Frank benannt.
Bei der Entwicklung einer neuen Kita-App hielt man dort jedoch nun die Holocaust-Thematik für Kinder nur „sehr schwer greifbar“. Sie würde den wohlbehüteten Nachwuchs überfordern. In einem mit Eltern und Erziehern besetzten Arbeitskreis schälte sich daher die Absicht heraus, die Kita in „Elchzwerge“ umzubenennen – in Anlehnung an den örtlichen Faschingsverein. Auch Kita-Leiterin Ann-Kathrin Offhaus hielt das für eine gute Idee.
Doch daraus wird jetzt doch nichts. Denn ein Bericht der Thüringer Allgemeinen über die anvisierte Namensänderung sorgte für einen Proteststurm. Nicht nur die Jüdische Landesgemeinde reagierte mit Entsetzen auf das Vorhaben. Elxlebens Bürgermeister Heiko Koch sah sich zu einer Entschuldigung „in aller Form“ gezwungen. Man sei „nicht tiefgründig und sensibel genug an das Thema herangegangen“, räumte er ein. „Dass die Sache so eine Dynamik annimmt, habe ich mir nicht vorstellen können“, so der CDU-Mann.
Der Elch-Report, ein auf der Gemeindeseite präsentes Regionalmagazin zwischen den Fahnerschen Höhen und dem Flüsschen Gera, titelte: „Naiver Vorstoß mit starken Reaktionen“. Die stärkste Reaktion kommt dabei aus der Gemeinde selbst, und zwar von dem Germanistikprofessor Sascha Feuchert. Er beschäftige sich „sehr intensiv mit Anne Frank und auch mit der Frage, wie man ihr Tagebuch und ihr Schicksal an Kinder und Jugendliche adäquat vermitteln kann“, bot Feuchert didaktische Hilfe an. Kita und Gemeinde nahmen sie an. „Ich will betonen, dass wir den Namen Anne Frank mit Stolz tragen!“, zitiert der Elch-Report die geläuterte Kita-Leiterin Offhauß. So steht am Ende sogar ein pädagogischer Mehrwert. Michael Bartsch
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