Gerhard Steidls Kunsthaus Göttingen: Die Schönheit der Tiere
Das Kunsthaus Göttingen ist Teil von Gerhard Steidls geplantem Kunstquartier. Die erste Ausstellung gilt dem „Modell Tier“ in der Fotografie.
An aktuellen Ausstellungen zum Klimawandel mangelt es nicht. Nun beschäftigen sich zunehmend mehr Künstler speziell mit den Lebensräumen von Tieren und ihrer Darstellung im Bild. Die Schau „Modell Tier“ im Kunsthaus Göttingen stellt acht zeitgenössische Positionen vor.
Dass der Schwerpunkt auf fotografischen Arbeiten liegt, verwundert nicht, schließlich war die Kuratorin Ute Eskildsen bis zu ihrer Pensionierung als Leiterin der fotografischen Sammlung am Museum Folkwang tätig. Dort hatte sie sich bereits 2006 in einer großen Übersichtsschau unter unterschiedlichen Aspekten dem Phänomen Tier gewidmet. In Göttingen stehen der Ausstellungsmacherin nun wesentlich kleinere Räumlichkeiten zur Verfügung. Diese nutzt sie aber dramaturgisch sehr gut, um die ausgestellten Werke in einen Dialog zu setzen.
Den Auftakt geben im Erdgeschoss Jo Langhursts Porträts von Windhunden. Die English Wippets stehen einzeln vor einem neutralen Hintergrund und schauen den Betrachter direkt an. Ungewöhnlich ist, dass nicht das ganze Tier abgebildet ist, sondern jeweils nur dessen Kopf und Brust. Dadurch verschiebt sich die Wahrnehmung. Statt der extremen Dürrheit der Jagdhunde steht die Individualität des einzelnen Tieres im Fokus.
Frei lebende Schakale im Nachtsichtgerät
Bei Michal Rovner wird der Besucher zum beobachteten Subjekt. Die israelische Künstlerin filmte mit einem Nachtsichtgerät frei lebende Schakale. Die grobkörnig-grauen Videos werden auf zwei gegenüberliegende Wände in einem ansonsten leeren Raum projiziert, sodass der Betrachter gleichsam zwischen den Tieren steht. Verstärkt wird die unheimliche Atmosphäre durch die Augen der Schakale, die aufgrund der Aufnahmetechnik wie weiße Punkte leuchten.
„Modell Tier Fotografie Projektion Illustration“ läuft noch bis zum 2. Januar im Kunsthaus Göttingen
Die von Thomas Struth fotografierten Füchse, Bären und Wildkatzen aus der Sammlung eines zoologischen Instituts wurden nicht wie üblich in Haltungen präpariert, die Lebendigkeit vortäuschen. Stattdessen sind sie ganz offensichtlich tot. Ein deutlicher Verweis darauf, dass die abgebildeten Arten vom Aussterben bedroht sind. Wurden in der Geschichte der Kunst beispielsweise Ratten oder Fliegen als Vanitas-Symbole genutzt, so sind die hier abgebildeten Tiere Stellvertreter ihrer eigenen Art.
Eines wissenschaftlichen Zugangs bediente sich ebenfalls Sanna Kannisto für ihre poetisch anmutende Rauminstallation. In einem mobilen Feldstudio filmte die Finnin vor weißem Hintergrund kleine Vögel, die auf zierlichen Zweigen sitzen. Wie in den Bildern von Jo Longhurst blendet die Künstlerin den Kontext aus, um den Blick auf die Schönheit und Details der Tiere zu lenken.
Tiergeschichten in Kinderbuchillustrationen
Weitere Arbeiten der Ausstellung stammen von Roni Horn, Tomasz Gudzowaty, Olivier Richon und einer Arbeitsgruppe der Universität Göttingen, die mit Fotofallen Tierbestände erfasst. Eine feine Ergänzung zu Film und Foto sind die Illustrationen für Kinderbücher, in denen Wolf Erlbruch kuriose Tiergeschichten erzählt. Die wohl bekannteste handelt vom Maulwurf, dem ein anderes Tier auf den Kopf gemacht hat. Erlbruchs heitere Bilderwelt ist eine wohltuende Auflockerung in dem überbetont sachlich-strengen Kunsthaus.
Dessen sachlich-strenge Architektur stammt vom Leipziger Atelier ST, dem zweitplatzierten Büro im 2016 von der Stadt und Gerhard Steidl ausgeschriebenen Architekturwettbewerb. Das Haus ist Teil von Gerhard Steidls Kunstquartier. Mit ihm will der Göttinger Verleger das eher öde Universitätsstädtchen aufwerten und beleben.
Neben dem Verlagshaus und einem Gästehaus, in dem Künstler und Autoren während der Buchproduktion beherbergt werden können, ließ Steidl ein Fachwerkhaus aus dem 14. Jahrhundert zum Günther-Grass-Archiv umbauen. Im vergangenen Jahr eröffnete dann das Kunsthaus Göttingen, in dem Papierarbeiten, Fotografie und neue Medien gezeigt werden.
DGPH-Kulturpreis für Ute Eskildsen
Als nun Mitte Oktober im Kunsthaus die Verleihung des DGPH-Kulturpreises an Ute Eskildsen stattfand, stellte Gerhard Steidl zwei weitere Bauprojekte vor. Auch ihre Architekten sind für ihren Minimalismus bekannt, ihren Bauten ist jedoch stets ein Hauch fließender Eleganz eingeschrieben. Peter Zumthor soll ein Haus für den Kinderbuchverlag Little Steidl bauen, was aber seit Jahren aufgrund des Einspruchs vom Besitzer des Nachbargrundstücks stockt.
Neu ist die Nachricht, dass David Chipperfield einen Turm plant, der alle anderen Gebäude der Stadt überragt. Der Bau soll ein Papiermuseum und einen Teil der privaten Fotobuchsammlung von Manfred Heiting beherbergen. Ebenso gut und vermutlich noch passender, da er eng mit dem Verlag Steidl verbandelt war, wäre sicher die Aufnahme von Karl Lagerfelds legendärer Buchkollektion. Über deren Verbleib aber rätselt derzeit die Fotoszene.
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