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Stadtgespräch Lutz van Dijk aus KapstadtSüdafrikas letzter weißer Präsident wird nur privat beigesetzt. Tief sitzt in seiner Heimatstadt der Zorn derer, deren Leid er nicht sah

Würden nicht auf allen öffentlichen Gebäuden seit Mittwochabend die Flaggen auf Halbmast wehen, wäre nicht viel von Trauer zu merken in Kapstadt. Auf der Webseite der Kapstädter FW de Klerk Stiftung dagegen können Menschen ihr Beileid bekunden. Die „staatsmännische Weisheit“ sowie die „tiefe Menschlichkeit“ des letzten weißen Präsidenten werden dort gepriesen – ausschließlich auf Afrikaans und Englisch.

De Klerks Tod am 11. November ließ eine Kontroverse erneut aufflammen, die seit der Geburt des demokratischen Südafrika 1994 besteht: Ja, es war Frederik Willem de Klerk, der am 2. Februar 1990 Südafrika und die Welt überraschte mit der Ankündigung, alle politischen Gefangenen, auch Nelson Mandela, freizulassen und demokratische Wahlen vorzubereiten. Aber es war auch de Klerk, der sich zeitlebens weigerte, Apartheid als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuerkennen und Mitschuld zuzugeben.

Nun starb er mit 85 Jahren in Kapstadt, der südlichsten Großstadt auf dem afrikanischen Kontinent, deren mehr als vier Millionen Ein­woh­ne­r*in­nen sich in den letzten Kommunalwahlen mit gut 58 Prozent erneut für die von Weißen dominierte DA (Democratic Alliance) entschieden.

Dies hat fraglos mit einer für Südafrika eher untypischen Demografie zu tun. Der Anteil von „Farbigen“ – also weder „Schwarze“ noch „Weiße“ – liegt bei fast 40 Prozent fast gleichauf mit dem der „Schwarzen“ (42 Prozent), gefolgt von den „Weißen“ (16 Prozent). Die meist Afrikaans sprechenden „Farbigen“ wurden früher als „nicht weiß genug“ diskriminiert – und fühlen sich heute nicht selten als „nicht schwarz genug“ benachteiligt.

Diese Apartheidsbegriffe werden bis heute im Alltag benutzt. Und noch immer kennzeichnen sie die Aufteilung Kapstadts in arme und wohlhabende Wohngebiete. Im edlen Fresnaye an der Atlantikküste, wo de Klerk lebte, wohnen heute auch ANC-Politiker*innen – auch der heutige Präsident Cyril Ramaphosa hat hier Privatbesitz.

In Kapstadt ist nicht nur die FW de Klerk Stiftung angesiedelt, sondern auch die Desmond und Leah Tutu Stiftung, benannt nach Erzbischof Desmond Tutu (90) und seiner Frau. Erzbischof Tutu war 1996 bis 1998 Vorsitzender der südafrikanischen Wahrheitskommission, die sich darum bemühte, die Verbrechen der Apartheid aufzuklären. In seiner Aussage dort behauptete de Klerk, dass es „niemals zur Politik der damaligen Regierung gehörte, Menschen zu ermorden.“ Lediglich einzelne Ordnungskräfte könnten „ohne Wissen der Vorgesetzten unnötig hart vorgegangen sein“.

Erst kurz vor seinem Tod nahm de Klerk, bereits schwer krank, eine siebenminütige Videobotschaft auf, in der er sich „bedingungslos“ entschuldigte „für den Schmerz, die Verletzungen, die Erniedrigungen und Schäden, die Apartheid den Schwarzen, Braunen und Indern in Südafrika angetan hat.“ Veröffentlicht wurde sie posthum.

Die 69-jährige Nombeko P. aus Khayelitsha, größtes Township Kapstadts mit über einer Million Menschen, ist empört: „Er hat sich damals nur zu Verhandlungen bereit erklärt, weil ihm klar war, dass seine Zeit abgelaufen war. Er wollte seine eigene Haut retten, und das ist ihm auch gut gelungen. Sogar den Friedensnobelpreis hat er mit Mandela dafür bekommen.“ Ihr Sohn Mpho (30) ergänzt: „Sollte der jetzt ein Staatsbegräbnis bekommen, werden wir alles tun, um das zu stören.“

Der angesehene „weiße“ Priester und Aktivist Michael Lapsley (72), dem eine Paketbombe des südafrikanischen Geheimdienstes noch 1990 im Exil beide Hände zerfetzte und ihn auf einem Auge erblinden ließ, sagt: „Es ist bedauerlich, dass sich de Klerk, der gleichzeitig Vorsitzender des nationalen Sicherheitsrates war, sich niemals für politische Morde der staatlichen Todesschwadrone verantworten musste.“

Und die 78-jährige Elvida R., Mutter eines damals ermordeten jugendlichen Aktivisten, klagt an: „Jetzt gibt es Staatstrauer mit Flaggen auf Halbmast, aber ich weiß bis heute nicht, wo die Leiche meines Sohnes verscharrt wurde.“

Die vier Tage Staatstrauer sind der Kompromiss, den Ramaphosa angeordnet hat. Die Beerdigung an diesem Sonntag aber findet im privaten Familienkreis statt. Unter Polizeischutz.

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