Amtliches Ergebnis in Berlin: Die Wahl gilt – mit einem Aber

Das Ergebnis der Abgeordnetenhauswahl ist trotz Chaos nun amtlich. Allerdings will die Landeswahlleitung es in zwei Wahlkreisen anfechten.

Wahlhelfer und Wahlhelferinnen zählen in einem Wahllokal Stimmzettel für die Bundestagswahl. Am 26. September findet die Bundestagswahl 2021 statt

Unregelmäßigkeiten in 207 Wahllokalen: „Eine Zahl, die uns alle erschrecken und auch ärgern muss“ Foto: dpa/Sebastian Gollnow

BERLIN taz | Die Landeswahlleitung will das Ergebnis in zwei Wahlkreisen vor dem Berliner Verfassungsgerichtshof anfechten. „Ich werde von diesem Einspruchsrecht Gebrauch machen“, sagte Petra Michaelis. Konkret betreffe das die Wahlkreise 6 in Charlottenburg-Wilmersdorf und den Wahlkreis 1 in Marzahn-Hellersdorf. Dort sei der Abstand zwischen Erst- und Zweitplatzierten bei den DirektkandidatInnen für das Abgeordnetenhaus so gering und die Fehler am Wahltag so eklatant, dass es sich auf die Verteilung der Mandate ausgewirkt haben könnte. Weil Landeswahlleiterin Michaelis bereits von ihrem Amt zurückgetreten sei, werde ihre Stellvertretung die Beschwerde offiziell einreichen, sagte Michaelis.

In Charlottenburg-Wilmersdorf hatte im Wahlkreis 6 zunächst die SPD-Kandidatin Franziska Becker (SPD) mit wenigen Stimen Vorsprung gewonnen vor dem Grünen-Kandidaten Alexander Kaas Elias. Eine Nachzählung sah dann aber Kaas Elias als Sieger. In Marzahn-Hellersdorf geht es um das Direktmandat für den AfD-Abgeordneten Gunnar Lindemann. Er hatte knapp vor Gordon Lemm (SPD) gewonnen.

Am Ende aber segnete der Landeswahlausschuss das Wahlergebnis ab und machte es amtlich: Trotz der teilweise chaotischen Zustände vor Wahllokalen mit langen Warteschlangen und fehlenden oder falschen Stimmzetteln stimmte der Ausschuss am Donnerstag mit 8 zu 1 Gegenstimme dafür, das Ergebnis für die Abgeordnetenhauswahl und der Bezirkswahlen festzustellen. Damit ist nun, sobald das Ergebnis im Amtsblatt am 7. November veröffentlicht ist, der Klageweg offen. Dass es weitere Anfechtungen geben wird, gilt angesichts der bekannt gewordenen Fehler als sicher.

Die Landeswahlleiterin Petra Michaelis wirkte aufgeräumt an ihrem letzten Tag im Amt: Freundlich lächelnd trat sie am Donnerstagvormittag vor den Landeswahlauschuss, um das amtliche Endergebnis der Abgeordnetenhauswahl und der Bezirkswahlen von den Ausschussmitgliedern feststellen zu lassen – in jedem anderen Jahr eigentlich eine bloße Formalie, dass der Ausschuss dieses Ergebnis durchwinkt. Doch in diesem Jahr erfährt die Sitzung des Landeswahlausschusses im Bärensaal der Innenverwaltung in der Klosterstraße ungewohnte Aufmerksamkeit.

Die Presse ist versammelt, und der Ausschuss hat Nachfragen zu dem Bericht, den die wenige Tage nach der Wahl zurückgetretene Wahlleiterin Michaelis mitgebracht hat. Denn seit dem Chaos vor vielen Wahllokalen am 26. September steht die Frage im Raum, ob die Wahlen zumindest teilweise wiederholt werden müssen. Entscheiden muss das der Berliner Verfassungsgerichtshof.

„Das lief wie geschnitten Brot“

Klar ist nun: In 207 Wahllokalen hat es laut Michaelis „Unregelmäßigkeiten“ gegeben. Das gehe nach Auswertung aller Berichte aus den Bezirkswahlausschüssen hervor. „Eine Zahl, die uns alle erschrecken und auch ärgern muss“, sagte die Ex-Landeswahlleiterin. „Das heißt aber auch“, betonte Michaelis: „In über 2.000 Wahllokalen ist die Wahl völlig problemlos abgelaufen.“ Es seien Wahlvorstände zu ihr gekommen, die gesagt hätten: „Das lief wie geschnitten Brot. Ich verstehe gar nicht die Aufregung.“

Einzelne Ausschussmitglieder empfanden allerdings durchaus Aufregung am Donnerstag: Der Bericht übernehme „keine Verantwortung“, und überhaupt: Wo sei denn eigentlich Geisel? Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte bereits am 8. Oktober betont, es sei Verantwortung der Politik, eine „reibungslose“ Organisation der Wahlen sicherzustellen, und um Entschuldigung bei den Berliner WählerInnen gebeten.

Insgesamt erweckte der Bericht der Landeswahlleitung am Donnerstag folgenden Eindruck: Es war eine Mischung aus logistischer Fehlplanung, die schon in der Druckerei begann, weil Stimmzettelkartons falsch gepackt wurden. Die Bezirkswahlämter waren dann mit der Parallelität der Ereignisse und der schieren Masse der Stimmzettel überfordert. Und am Ende der Fehlerkette standen überforderte ehrenamtliche HelferInnen am Wahltag, die schlicht den Überblick verloren.

Die eklatantesten Fehler, die nun zu einer Wahlanfechtung führen könnten, sind falsch oder nicht ausgegebene Stimmzettel – die wiederum dazu führten, dass Menschen nicht wählen konnten oder ihre Stimmen ungültig waren. In 24 Wahllokalen seien insgesamt 1.608 Stimmzettel für die Erststimmen des Abgeordnetenhauses falsch gewesen, sagte Michaelis. In 56 Wahllokalen wurden rund 3.000 Stimmzettel für Erst- und Zweitstimmen nicht ausgegeben. Die Ursachen seien „nicht bekannt“, sagte Michaelis. Sie gehe von „einer Überforderung der Wahlvorstände aus.“

Unklar bleibt weiterhin, wie viele WählerInnen nicht wählen können, weil keine Stimmzettel ausgegeben und die Wahllokale zeitweilig geschlossen wurden. Insgesamt seien rein rechnerisch 48.000 Wahlberechtigte in 22 Wahllokalen betroffen, sagte Michaelis. In den Pankower Wahlkreisen 2 und 3 konnten zudem mindestens 138 Menschen nicht wählen, weil drei Wahllokale vor 18 Uhr geschlossen wurden. Am Freitag will sich der Innenausschuss mit dem Wahlchaos beschäftigen.

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