: Das Risiko wird gefürchtet
Die Londoner Kunstmesse Frieze in Post-Brexit- und Noch-Corona-Zeit ist ein vorsichtiges Unternehmen
Von Brigitte Werneburg
Die erste Empfindung beim Betreten der Messehalle: Wohlgefühl. Alles so bunt hier! So lebendig! Hat man offensichtlich doch vermisst, die Kojen voller Kunst, das Gewusel der Leute, wie sie durch die Hallen flanieren. Das nachfolgende Gefühl: Erleichterung. Denn der bürokratische Wahnwitz, der vor diesem Moment durchgestanden werden musste, war einigermaßen niederschmetternd.
Auch die zweifach geimpfte Person muss, um nach England einreisen zu dürfen, einen PCR-Test machen. Aber nicht kurz vor Antritt der Reise, sondern merkwürdigerweise nach Ankunft in England. Wer durch die Liste der Labors und ihrer verschiedenen Tests durchsteigt, die die britische Regierung auf ihrer Website präsentiert, soll sich bitte melden! Und interessant, nicht wahr, dass man den Test für 69 Pfund, egal wie man sich anstellt, erst dann machen kann, wenn man längst wieder abgereist ist.
Es wundert danach auch nicht, dass es auf der Kunstmesse gleich bis Sonntag keinen freien Time Slot mehr geben soll. Oder, dass man sich – with a little help from yours friends – dann doch zum geplanten Zeitpunkt auf der Messe wiederfindet. Deren Sponsor, BMW, hatte zum Besuch der Frieze in London eingeladen. Sponsor und Messe arbeiten auch seit fünf Jahren in Sachen Kunstförderung zusammen: Das BMW Open Work stammt in diesem Jahr von der Kalifornien lebenden Künstlerin Madeline Hollander. Ihre Installation „Sunrise/Sunset“ besteht aus 99 gebrauchten und ausgemusterten Scheinwerfern, die in 24 Zeitzonen angeordnet sind und per Algorithmus so gesteuert werden, dass sie in Echtzeit zu leuchten beginnen, wenn es in ihrer jeweiligen Zeitzone dunkel wird, und sich ausschalten, sobald es hell wird.
Dazu arbeitete Hollander mit dem Recycling- und Demontagezentrum des Unternehmens zusammen und nutzte das dort vorhandene Ingenieurwissen für die Entwicklung ihrer vernetzten Landkarte zur Steuerung des Lichts. Die Arbeit der von der Frieze-Kuratorin Attilia Franchini ausgewählten Künstlerin gehört zu denen, die von der Messe in Erinnerung bleiben.
Nach dem ersten vielversprechenden Blick auf die Kojenlandschaft wird bei genauerer Sichtung deutlich, dass die Galerist*innen auf sichere Werte setzen. Malerei und Skulptur dominieren, Video ist fast völlig verschwunden, Fotografie selten, dann aber in beachtlichen Positionen vertreten. Offenkundig fürchtet man das Risiko, zumal, wie viele Aussteller beklagen, der Kunsttransport ein einziger bürokratischer Albtraum geworden sei. Lehmann Maupin, New York, bestreiten ihre Booth mit den Haus- und Türschloss-Konstruktionen aus pastellfarbenem Drahtgeflecht des koreanischen Künstlers Do Ho Suh. 15 Arbeiten für 1,5 Millionen Dollar waren am Ende des ersten Messetags verkauft, so die Auskunft. Bei Eigen + Art macht Martin Gross seine Soloshow zum Gesamtkunstwerk, das auf die massive Digitalisierung unseres Alltags referiert. Offenkundig entwuchs der 1984 in Plauen geborene Künstler in seinem Studium an der Royal Academy auf interessante und kluge Weise der Leipziger Schule, der er entstammt.
Die digitale Welt der Robotik inspiriert auch die Frauenkörper der deutsch-iranischen Künstlerin Cathrin Hoffmann bei Tanja Wagner, Berlin: muskulös wie bei Tamara de Lempicka, fragmentiert wie bei Salvador Dalí. Sweetwater ebenfalls aus Berlin zeigen Constantin Thun, den architektonische Motive beschäftigen. Was fällt sonst auf? Alexandra Sukharevas künstlerische Recherche zur Belagerung von Leningrad (8. Sept. 1941–27. Jan. 1944), zurückhaltend in großen, aber unauffälligen Archivboxen untergebracht. Schön, die Begegnung mit Birgit Jürgenssens Nest in Form einer Skulptur bei der Galerie Hubert Winter, Wien.
Bis 17. Oktober, Frieze, Regent Park, London
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