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Ärger mit den Großen

In Niedersachsen laufen die kleinen Parteien Sturm gegen eine Änderung der Kommunalverfassung. Der Vorwurf: Die GroKo schmeißt sie aus den Ausschüssen

Von Nadine Conti

Es passiert nicht allzu häufig, dass sich FDP und Linke bei einem Thema einig sind. In diesem Fall sind sie es aber. Am Montag luden sowohl die FDP-Landtagsfraktion als auch Vertreter von Linke/Piraten im Rat der Stadt Hannover zu Pressekonferenzen ein, um ihrer Empörung Luft zu machen. Der Vorwurf: Die anstehende Reform der niedersächsischen Kommunalverfassung sorge dafür, dass die kleinen Parteien in den Fachausschüssen nicht mehr vertreten seien.

Die Große Koalition aus SPD und CDU, so die Lesart der kleineren Fraktionen, versuche damit im gesamten Land ihre sinkenden Stimmenanteile zu kompensieren. Auch die Grünen haben sich dem Protest angeschlossen – selbst wenn sie neuerdings an vielen Orten dem Status der Kleinpartei entwachsen sind.

Der Entwurf der Regierungsfraktionen liegt schon länger vor. Dass ein großer Aufschrei bisher ausgeblieben ist, liegt daran, dass es ein Thema für kommunalpolitische Feinschmecker mit Faible für Mathematik ist: Das Berechnungsverfahren soll umgestellt werden von einer Berechnung nach Hare/Niemeyer auf das Verfahren nach D‘Hondt. Dabei geht es, sehr grob gesagt, darum, wie man die restlichen Sitze aufteilt, wenn der prozentuale Stimmenanteil keine glatte Zahl ergibt. Wenn also Partei A eigentlich Anspruch auf 8,3 Sitze hätte, Partei B auf 4,6 und Partei C auf 4,1 – aber nur 17 ganze Sitze zu vergeben sind. Um dieses Problem zu lösen, gibt es drei anerkannte Rechenverfahren, die jeweils nach ihren Erfindern benannt sind: D‘Hondt, Hare/Niemeyer und Sainte-Laguë. Alle drei haben ihre Vor- und Nachteile.

Der größte Nachteil bei D‘Hondt: Das Verfahren sorgt tendenziell dafür, dass den größeren Parteien etwas mehr zugeschlagen wird. Der Verzerrungseffekt ist umso größer, je weniger Sitze zu vergeben sind und je mehr Parteien darum rangeln. Nun gilt für die Fachausschüsse in den Kommunalparlamenten, wo alle wichtigen Entscheidungen vorbereitet werden sollen, aber genau das: Die Anzahl der Sitze ist begrenzt, die Anzahl der vertretenen Wählergemeinschaften, Initiativen und Klein- bis Kleinstparteien steigt, die Zustimmung der einst großen Volksparteien bröckelt.

Um die Arbeitsfähigkeit der Ausschüsse zu bewahren und Entscheidungsprozesse nicht durch endlose Diskussionen unmöglich zu machen, müsse man der Zersplitterung Einhalt gebieten, argumentieren SPD und CDU in ihren Begründungen für die Reform. Als „Anschlag auf die kommunale Selbstverwaltung“ empfindet das der Vorsitzende der Linken-Ratsfraktion, Dirk Machentanz: „Man kann doch nicht erst die Leute anbetteln, sich kommunalpolitisch zu engagieren und ihnen dann das Stimmrecht in den Ausschüssen wegnehmen.“

„Mit dem Argument könnte man auch die Monarchie wieder einführen“

Marco Genthe, rechtspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion

Der rechtspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Marco Genthe, wird noch deutlicher: „Mit dem Argument könnte man ja auch die Monarchie wieder einführen. Dann entscheidet halt der mit der Krone.“ Für die FDP hätte das an vielen Orten seltsam widerstreitende Effekte, sagt auch Fraktions­chef Stefan Birkner:­ „Wir haben zum Beispiel im Rat der Stadt Hannover oder im Landkreis Göttingen Mandate dazu gewonnen – würden aber plötzlich unser Stimmrecht im Ausschuss verlieren.“

Dass diese Maßnahme wirkt wie geplant, bezweifelt Genthe als erfahrener Kommunalpolitiker: „Man behält ja das Rede- und Antragsrecht, darf nur nicht abstimmen. Wenn man seine Position trotzdem darstellen will, muss man sich zu Wort melden.“ Genau das werde die Linke künftig auch in jedem einzelnen Ausschuss und jedem einzelnen Tagesordnungspunkt tun, droht der erboste Machentanz: „Die sollen damit keinen Erfolg haben.“

Erst versucht man aber noch, die Gesetzesänderung, über die am Mittwoch im Landtag abgestimmt werden soll, zu verhindern. Und zwar jede Partei auf ihre Art: Die nicht im Landtag vertretene Linke hat eine Petition auf Change.org gestartet und will vor dem Parlament protestieren. Die Grünen wollen eine namentliche Abstimmung beantragen. Die FDP hat ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben und strebt ein Normenkontrollverfahren vor dem Staatsgerichtshof an. Dazu benötigt man allerdings auch Stimmen aus den Mehrheitfraktionen.

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