Die Wahrheit: Liebling der Abenteurer

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (131): Seltene Baumkängurus sind begehrte Beute auf Südsee-Expeditionen.

Wettlauf zwischen Kuh und Känguru.

Delmenhorst: Das rechts ist ein Känguru. Im Hintergrund Bäume Foto: dpa

Was sollen Kängurus mit ihrem ausgefallenen Körperbau und ihrer hüpfenden Fortbewegungsweise ausgerechnet auf Bäumen? Man vermutet, dass einst der Hunger nach Blättern sie da hochzwang. Vielleicht war es auch eine Flucht vor zu vielen Fressfeinden auf der Erde – zum Beispiel vor den mit den australischen Dingos verwandten „singenden Hunden“ Neuguineas.

Inzwischen haben diese Kängurus sich auf die „baumbewohnende Lebensweise“ auch körperlich eingestellt: Sie bewegen sich auf dem Boden unbeholfener als auf Bäumen, wo sie bis zu neun Meter weit springen können. Sie paaren sich jedoch am Boden, das Junge bleibt fast ein Jahr im Beutel der Mutter.

„Im Vergleich zu ihren bodenbewohnenden Verwandten haben Baumkängurus kürzere, stämmigere Beine, breitere Sohlen mit Sohlenpolstern und kräftigeren Vordergliedmaßen mit langen gebogenen Krallen“, heißt es auf Wikipedia.

Es gibt sie noch in den beiden Ländern Neuguineas und auf einer australischen Halbinsel – in dreizehn Arten. Die Abholzung der Regenwälder ist ihre größte Gefährdung. Daneben werden sie auch wegen ihres Fells und ihres Fleisches gejagt. Über jeden blöden Promi gibt es eine Biografie – aber keine über ein Baumkänguru. Nur einen Bericht von einer amerikanischen Frauen-Expedition und einen von einer australischen Männer-Expedition zu den Baumkängurus im Hochland von Neuguinea. Erstere wurde von Lisa Dabek, Direktorin des „Baumkänguru-Rettungsprogramms“ am Woodland Park Zoo in Seattle, geleitet. Den Bericht verfasste ihre Begleiterin, die Naturkundlerin Sy Montgomery, die ein Feldtagebuch führte.

Aufspüren und einfangen

Lisa Dabek heuerte in den umliegenden Dörfern Träger und Fährtenleser an. Sie sollten Baumkängurus aufspüren und einfangen. Den Tieren wollte man Funkhalsbänder anlegen und sie wieder freilassen. Die Fährtenleser kamen zunächst mit einigen noch selteneren Tieren an: Langschnabeligel, Bergkuskus, Großfußhuhn … Die Suche ging weiter. „Ob Fährtenleser oder Wissenschaftler, ob Eingeborener oder Ausländer, ob Tierpfleger, Künstler oder Naturkundler, uns vereint die anspruchsvolle Aufgabe, diesen urzeitlichen Nebelwald zu erkunden, um ihn zu retten“, schreibt Montgomery in „Einfach Mensch sein“ (2019).

Die Baumkängurus sind die größten Säugetiere in diesem Lebensraum. Die Fährtenleser fangen schließlich zwei, indem einer von ihnen in einen Baum nahe am Baum des Baumkänguru-Paares klettert. Die beiden sprangen daraufhin auf die Erde, wo man sie einfing und in einen Jutesack steckte. Es waren Matschie-Baumkängurus, „ungefähr mit dem Ausmaß einer großen Katze“. Das Weibchen bekam zuerst ein Funkhalsband angelegt. „Ich konnte nicht anders, als sein Fell zu streicheln“, gesteht Montgomery.

Die beiden Tiere wurden Christopher und Tees genannt und blieben ein paar Tage in einem Gehege, bevor man sie freiließ. Mehr erfährt man nicht über sie, aber die Expeditionsleiterin Lisa Dabek schrieb zwei Bücher über Baumkänguru-Arten, und ihre „Baumkänguru-Rettungsinitiative“ veröffentlicht regelmäßig Reports über den Stand der Dinge im Nebelwald.

Mit Fallen und Netzen

Anders der australische Zoologe und Direktor des South Australian Museum, Tim Flannery, der „mehr Arten als Darwin benannt hat“, wie sein Verlag betont. Dazu musste er fast schon manisch eine Südseeinsel nach der anderen durchforsten – mit Fallen und Netzen, in denen sich Flughunde verfingen. Ihre Bälger wurden für Museen und zur Artbestimmung präpariert, das Fleisch bekamen die für ihn tätigen indigenen Träger und Jäger. Deren Lebensweise interessierte ihn nicht. Sein erst spät ins Deutsche übersetztes Buch darüber hat den Titel „Im Reich der Inseln – Meine Suche nach unentdeckten Arten und andere Abenteuer im Südpazifik“ (2013).

Nach Papua-Neuguinea und zum indonesischen Teil Neuguineas (Irian Jaya) zog es Flannerty mehrmals, wobei es ihm dort vor allem um Baumkängurus ging. Diese Forschung war ebenfalls „abenteuerlich“ für ihn, wie er seinen Bericht „Dschungelpfade“ (2003) untertitelte. Er suchte Arten, die der westlichen Wissenschaft noch unbekannt waren. Zunächst fuhr er mit einem Boot den Sepik hoch.

Von dort aus hatte einst die deutsche Kolonialmacht bis 1918 „Deutsch-Neuguinea“ durchdrungen und Berge sowie Täler nach deutschen Führern benannt, den „Hindenburg-Wall“ gibt es noch immer. Einer, der Zoologe Paul Matschie, verfasste zunächst für den Kölner Schokoladeproduzenten Ludwig Stollwerck Texte zu den Stollwerck-Sammelbildern, aber dann zog es ihn in die wilde Kolonie, wo er drei Arten von Baumkängurus, die er wahrscheinlich von ihren Bäumen schoss, beschrieb und benannte, eine vierte wurde nach ihm benannt (siehe oben). Zuletzt war er Leiter der Säugetierabteilung des Berliner Zoologischen Museums.

Nicht leicht zu fangen

Auch Flannery vergisst nie, ein paar Exemplare, von welcher Tierart auch immer, die von seinen Fährtenlesern und Jägern mit Hunden aufgestöbert werden, als „Proben“ für sein Museum zu Hause in Adelaide einzupacken. Aber Baumkängurus sind nicht leicht zu fangen. Erst auf Seite 217 heißt es, sie kamen mit zwei Baumkängurus an – ein weibliches, das die Hunde zerbissen hatten, und in einem Sack: „ein winziges junges Baumkänguru“.

Sie nannten es Dokfuma, es wurde schon „bald der Liebling des Lagers“. Flannery vermutet, dass es sich dabei „um eine noch nicht beschriebene Unterart des Doria-Baumkängurus handelt“. Er verlieh dem Tier den Namen „Seri-Baumkänguru“.

Schon bei seiner Sammlung bedrohter Säugetiere auf den Südseeinseln hatte ich mich als Leser gefragt, ob es nicht eher geboten wäre, diese immer seltener werdenden Tiere am Leben zu lassen, statt die letzten für die Wissenschaft aus reinem Ehrgeiz zu töten. Auch das Exemplar einer Baumkänguruart, die schon „fast ausgestorben“ ist, landete als Balg erst in Flan­nerys Expeditionstonne und dann im Museum.

Unbemerkt gebissen

Während seiner Abwesenheit gelang es einem jungen Biologen der University of Papua New Guinea, drei Baumkängurus zu fangen und ihnen Funkhalsbänder anzulegen. Wegen der „zerklüfteten Topografie“ verlor man immer wieder den Funkkontakt zu den Tieren, und dann fand man zwei von ihnen tot auf. Flannery vermutet, dass die Hunde sie unbemerkt gebissen hatten, als sie den Baumkängurus Halsbänden anlegten. Das dritte Tier verschwand.

Bei einer weiteren Expedition in die Berge von Irian Jaya jagte Flannery ebenfalls mit Jägern und Hunden Baumkängurus. Das erste gefangene Exemplar gehörte zu seiner Enttäuschung zu einer Unterart des Doria-Baumkängurus, die er bereits bestimmt hatte. Sein Bericht enthält Fotos, eins zeigt ein schwarz-weißes Baumkänguru, dazu schreibt er: „Die Entdeckung dieses am Boden lebenden Baumkängurus 1994 war der Höhepunkt meiner Laufbahn als Biologe. Das Volk der Moni verehrt es als mythischen Vorfahren.“

Wie die Germanen ist es von den Bäumen runtergeklettert und hat sich auf der Erde eingerichtet. Flannery „taufte“ es Dingiso-Baumkänguru – so nennen es auch die Einheimischen.

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