Prozess zum KZ Stutthof: KZ-Schreibtischtäterin vor Gericht

Ab Donnerstag beginnt in Itzehoe der Prozess gegen Irmgard F. Angeklagt ist sie wegen Beihilfe zum Mord in 11.430 Fällen.

Zwei Baracken stehen links und rechts neben dem Tor zum Konzentrationslager Stutthof

Irmgard F. will das Lager nie betreten haben: Tor zum KZ Stutthof Foto: kallerna/Wikimedia Commons

HANNOVER taz | Fast zwei Jahre lang – vom Juni 1943 bis zum April 1945 – hat Irmgard F. als Erste Stenotypistin und Sekretärin für den Kommandanten Paul Werner Hoppe des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig gearbeitet. Das bestreitet sie auch nicht, den Rest schon: Keinen Fuß will sie je in das Lager selbst gesetzt haben.

Alles sei damals über ihren Schreibtisch gelaufen, auch Exekutionsbefehle und Deportationslisten, glaubt dagegen die Anklage. Unmöglich, dass sie von dem täglichen Morden und Foltern im Lager direkt hinter ihrem Bürofenster nichts mitbekommen habe. Im Gegenteil: Als wichtiges Rädchen im Getriebe soll ihre fleißige Mitarbeit die Maschinerie am Laufen gehalten haben.

Rund 65.000 Häftlinge sind in Stutthof ermordet worden. Sie wurden mit ­Zyklon B vergast, in eine getarnte Genickschussanlage geschickt, medizinischen Versuchen unterzogen oder starben an Seuchen, Unterernährung, den Folgen von Zwangsarbeit und Folter.

Deshalb muss sich die mittlerweile 96 Jahre alte Dame nun – mit 75 Jahren Verspätung – wegen Beihilfe zum Mord in 11.430 Fällen vor Gericht verantworten. Nach dem Jugendstrafrecht wohlgemerkt, denn zur Tatzeit war sie gerade einmal 18, 19 Jahre alt.

Es wäre das erste Mal, dass eine Schreibtischtäterin der zweiten Reihe doch noch zur Rechenschaft gezogen wird. Bei früheren Prozessen in den Jahren 1954, 1964 und 1982 ist F. lediglich als Zeugin gehört worden. Das Medieninteresse ist entsprechend groß. Das Gericht hat die Verhandlung deshalb in das China Logistic Center in Itzehoe verlegt.

Dass in den letzten Jahren häufiger gegen Mittäter und Helfer Anklage erhoben wird, ist eine Auswirkung des Urteils gegen John Demjanjuk aus dem Jahr 2011. Demjanjuk war Wachmann im Vernichtungslager Sobibor. Vorher galt die juristische Auffassung, man müsse jedem Täter eine unmittelbare Tötungshandlung oder die Beihilfe dazu nachweisen. Nun gilt auch das Mitwirken im Tötungs­apparat als ausreichend.

Kaum noch verhandlungsfähig

Die Haupttäter sind ohnehin zum größten Teil bereits verstorben: Wer damals einen hohen Rang bekleidete, war in der Regel schon älter. Übrig bleiben nun KZ-Wächter, Verwaltungskräfte und sonstige Helfer, die damals jung waren. Und auch da scheitern viele Prozesse an der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten.

Irmgard F., die in einem Seniorenheim in der Nähe von Hamburg lebt, soll einem medizinischem Gutachten zufolge in der Lage sein, der Verhandlung für zwei Stunden am Tag zu folgen. Nadine Conti

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.