Stolzer Träger eines Museums

Im Verein ist Kunst am schönsten (8): Zu Recht zählen die Kunstvereine seit 2021 zum immateriellen Weltkulturerbe. Ihre Erkundungs- und Vermittlungsarbeit macht Gegenwartskunst für jeden erfahrbar – noch bevor sie im Museum einstaubt. Und jeder hat seine ganz eigene Geschichte: Die taz erkundet ihren Beitrag zum norddeutschen Kulturleben in Porträts. Diesmal: Bremen

Schmückt seit 2013 den ersten Saal der Bremer Kunsthalle: Sarah Morris‘ Wandbild „Jardim Botânico [Rio]“ Foto: Karen Blindow/Kunsthalle Bremen

Von Bettina Maria Brosowsky

Eine „ungewöhnliche Konstellation“: So nennt es der Direktor der Bremer Kunsthalle, Christoph Grunenberg, dass sein Haus und der örtliche Kunstverein bis heute eine Einheit bilden. Denn der Verein ist mit gut 10.000 Mitgliedern wohl nicht nur der größte in Deutschland, er ist auch privater Träger der Kunsthalle, eines Museums, das acht Jahrhunderte Kunstgeschichte repräsentiert.

Dabei hat der Kunstverein klein angefangen. Ab 1817, also zeitgleich mit der Gründung jenes in Hamburg, gab es erste derartige Überlegungen unter finanzkräftigen Bremer Kaufleuten und Bildungsbürgern. 1823 trafen sich dann 34 „Kunstfreunde“ auf Einladung des Senators Hieronymus Klugkist, um den Verein zu gründen. Ihre ersten „Gesetze“, also die Satzung, sah als Zweck, „den Sinn für das Schöne zu verbreiten und auszubilden“, die Mitgliederzahl war auf 50 beschränkt. Man traf sich zur gemeinsamen Kunstbetrachtung, meist grafischer Werke, aber auch, um eine Sammlung anzulegen und, 1829, eine erste Verkaufsausstellung zu veranstalten.

Weitere schlossen sich an, die elitäre Beschränkung der Mitgliederzahl wurde aufgehoben – und ein eigenes Haus ins Auge gefasst. Der Senat überließ nach anfänglichem Zögern das prominente Grundstück in den bis heute von jeglicher weiterer Bebauung freigehaltenen, öffentlichen Wallanlagen um die Altstadt – allein diese bürgerliche Weitsicht einer städtebaulichen Grundsatzentscheidung wäre ein eindrucksvolles Alleinstellungsmerkmal Bremens.

Die 1849 fertiggestellte Kunsthalle wurde dann das erste der Allgemeinheit zugängliche Ausstellungsgebäude eines Kunstvereins in Deutschland. Bauliche Erweiterungen oder auch Instandsetzungen nach Kriegszerstörungen folgten, nicht immer geglückt, als letztes 2011 der Anbau von zwei symmetrischen Annexen an den kompakten Bestandsbau.

Während in Hamburg, Lübeck oder Kiel, aber auch in Frankfurt – die 1815 für ein Ausstellungshaus zweckgebundene Stiftung durch Johann Friedrich Städel galt andernorts als Vorbild – die jeweiligen Ausstellungsgebäude über kurz oder lang in kommunale Trägerschaft übergingen, blieben in Bremen Haus und Sammlung bis heute in der Hand des gemeinnützigen Vereins. Jedes Mitglied ist dadurch Mitbesitzer der Immobilie und der Kunstschätze sowie Arbeitgeber der etwa 70 Mit­ar­bei­te­r:in­nen des Hauses, Direktor inklusive.

Die Last trägt der Verein

Aber was bedeutet diese Symbiose für die Arbeit der Kunsthalle – und erst recht für das Selbstverständnis des Kunstvereins in Bremen? Diplom-Kauffrau Nicole Lamotte ist seit einem Jahr „Vorsitzerin“ des Kunstvereins, so will es die Satzungsterminologie: Sie ist die erste Frau in dieser Position, der Vorstand besteht aus 20 Personen, darunter fünf Staats­ver­tre­te­r:in­nen aus der Bremischen Bürgerschaft.

Deren öffentliche Förderung deckt ungefähr 40 Prozent des Jahresetats, Lamotte übernimmt mit dem geschäftsführenden Vorstand vor allem die Verantwortung der Akquise weiterer Mittel, etwa aus staatlichen wie lokalen Stiftungen, und des operativen Geschäfts ganz allgemein. Geht etwas schief, so Lamotte, trägt der Verein die Last. Anderseits empfindet sich dieser als stolzer Träger der Kunsthalle, kein anderer Kunstverein bietet derartiges Identifikationspotenzial, selbst wenn auch hier junge Mitglieder über spezielle Programme gewonnen werden müssen.

Um Finanzen und Risiken weiß natürlich auch Grunenberg. Gelder wie für die Großausstellungen der 1990er- und 2000er-Jahren stehen nicht mehr zur Verfügung. Diese Projekte, etwa 2002/03 „Van Gogh: Felder“ oder, zwei Jahre später, „Monet und Camille: Frauenporträts im Impressionismus“ bescherten überregionales bis internationales Interesse und Publikumsrekorde, allein van Gogh besuchten sagenhafte 320.000 Menschen. Grunenberg pflegt die Tradition des Hauses, alle zwei Jahre ein Werk der Sammlung ins Zentrum einer historischen Sichtung zu stellen.

Die im Oktober kommende Ausstellung – das Bildnis von Zacharie Astruc durch Edouard Manet ist Anlass, Astruc nun nicht nur als Kritiker, sondern erstmals in Deutschland auch als Künstler vorzustellen – wird durchaus „teuer“, so Grunenberg. Aber wird ein Kunstpublikum zwischen möglichen Cornonawellen bereits wieder reisen? Seit letztem Jahr präsentiert das Haus auch seine Sammlung neu. Unter der Idee eines „Remix“ sind 500 Werke, darunter auch Zeitgenössisches wie das kolonialismuskritische Bootsobjekt des Schotten Hew Locke, in chronologische und thematische Bezüge gesetzt.

Das Ziel: gezielt ein junges Publikum ansprechen, ohne sich oberflächlich anzubiedern

Die Themen von heute

Grunenberg, der das Haus seit 2011 leitet, sieht seine Aufgabe, die Institution, die 2023 ihr 200-jähriges Jubiläum begehen wird, ins 21. Jahrhundert zu führen. Er will mit gesellschaftlichen, für die Hansestadt Bremen relevanten Fragen wie Welthandel und Kolonialgeschichte, Migration und Diversität in die Stadtgesellschaft hineingehen, gezielt auch ein junges Publikum ansprechen, ohne sich oberflächlich anzubiedern.

Demnächst feiert aber erst einmal eine andere Vereinigung ihr, wenn auch erst 50-jähriges Jubiläum: der Förderkreis für Gegenwartskunst. Er gründete sich 1971 durch junge Mitglieder des Kunstvereins als interne Gegenbewegung zur hauseigen konservativen Ausstellungs- und Ankaufskultur. Ihr Anliegen: den originären Auftrag eines Kunstvereins wiederzubeleben, nämlich der zeitgenössischen Kunst nachzuspüren, sie zu präsentieren und zu fördern.

Der Kreis generiert eigene Mittel, seine jährliche Ausstellung mit einem Künstler oder einer Künstlerin der Gegenwart ist Konstante im Programm der Kunsthalle, er unterstützt entsprechende Ankäufe. Eine Jubiläumsschau zeigt rund 50 Werke, unter anderem von ­Antoni Tàpies, Gerhard Richter oder Otto Piene, die ja keineswegs dem hanseatisch „gediegenen“ Geist des Hauses zuwiderlaufen.

Für die Kunst heute. 50 Jahre Förderkreis für Gegenwartskunst: 11. 9. bis 30. 1. 22

Manet und Astruc. Künstlerfreunde: 23. 10. bis 27. 2. 22

www.kunsthalle-bremen.de