: Wahlzettel zum Angeln
Im Briefkasten der Gemeinde Schiffdorf bei Bremerhaven stapeln sich Wahlzettel an manchen Tagen fast bis zum Briefschlitz. Es wäre so möglich, die Wahl zu manipulieren, sagt ein Bürger
Von Alina Götz
Als Heiner Zok im August seine Briefwahlunterlagen in den Briefkasten am Rathaus der Gemeinde Schiffdorf bei Bremerhaven einwirft, ist dieser bereits randvoll. Durch den Briefschlitz sieht er seinen Umschlag oben auf den anderen liegen. So schildert er es in einer Mail an Bürgermeister Klaus Wirth vom 25. August, die der taz vorliegt. Und weiter: „Es wäre mir ohne große Probleme möglich gewesen, Umschläge wieder herauszufischen und diese zu manipulieren.“ Für Zok ist klar: „Es ist nicht mehr zu garantieren, dass es geheime Wahlen und keine Wahlfälschungen gegeben hat.“
In dem besagten Briefkasten sind in den vergangenen Wochen Wahlzettel für Kommunalwahl, Bundestagswahl und nun auch für die Stichwahl zum Bürgermeister gelandet. Am vergangenen Samstag steht Zok ein weiteres Mal mit seinen Unterlagen vor dem Rathaus. Diesmal macht er ein Video. Darauf ist zu sehen, wie eine Hand die Klappe des Briefkastens öffnet. Dahinter stapeln sich blaue, gelbe und rote Umschläge bis auf Höhe des Schlitzes. Auch das Video liegt der taz vor. „Noch voller“ als im August soll der Briefkasten gewesen sein. Für Zok ist das „ein Skandal: Niemand kann sagen, dass die Wahl in Schiffdorf korrekt war.“
Zok sagt, dass man für eine etwaige Manipulation eine Grillzange oder ähnliches bräuchte. Und entsprechende „kriminelle Energie“, sagt Bürgermeister Wirth. „Das ist verboten, man darf andere Briefe nicht aufmachen.“
Sein eigener Briefkasten zu Hause könne auch „von jemandem, der das will, mit Hilfsmitteln geleert werden“. Das gelte auch für den am Rathaus. Wirth ist nicht der Meinung, dass die Gemeinde fahrlässig handelt oder es leicht ist, die Unterlagen zu manipulieren.
Das Problem habe man dennoch bereits registriert, sagt Wirth klar. Daher habe man im Rahmen der Kommunalwahl, also ungefähr um den Zeitpunkt von Zoks erster Beschwerde, beschlossen, eine Klappe im Auffangbehälter offen zu lassen, sodass die Briefe nach hinten rausfallen können.
Dazu muss man wissen: Schiffdorfs Briefkasten ist in die Rathausmauer eingebaut. Von außen ist er einfach nur ein beschrifteter silberner Schlitz; im Empfang drinnen sitzen unter der Woche Mitarbeitende, die den Behälter ausleeren. Das Problem des überfüllten Briefkastens tauchte demnach nach Feierabend und am Wochenende auf. Zusätzlich zu der geöffneten Klappe habe Wirth mit einem Mitarbeitenden, der in der Nähe des Rathauses wohnt, abgemacht, dass dieser auch am Wochenende regelmäßig leert. Auch am vergangenen Wochenende sei das passiert.
Man habe es allerdings mit einer „derartigen Flut“ zu tun, dass auch das anscheinend nicht immer ausreiche – so zeigt es das Video. Der Grund für die neue Situation trotz gleichen Briefkastens: mehr Briefwähler*innen. Damit dürfte das Problem auch in anderen Gemeinden auftreten.
Heiner Zok, Bürger
„Gleich gelagerte Fälle“ seien hier nicht bekannt, sagt eine Sprecherin der niedersächsischen Landeswahlleiterin dazu. Ob eventuelle kriminelle Machenschaften an dem Schiffdorfer Briefkasten Auswirkung auf die Wahlen haben, könne „nicht hypothetisch, sondern erst im Nachhinein anhand des konkreten Einzelfalls beurteilt werden“.
Langfristig, so Wirth, wolle man „bauliche Veränderungen“ vornehmen und das Volumen des Briefkastens erhöhen. Dann könne auch eine Vorrichtung hinzukommen, die ein Reingreifen unmöglich macht. „Jeder ist verpflichtet, kriminellen Neigungen entgegenzuwirken, daher sollte man das hier ändern.“ Bis dahin sei es ja die eigene Entscheidung, den Brief einzustecken oder zu warten, bis das Büro besetzt ist.
Für die letzte Woche vor Bundestags- und Bürgermeisterwahl ist der Zug allerdings abgefahren. Wer ganz sicher gehen will, dass sein Wahlzettel auch unverändert in der Auszählung landet, sollte ihn bei einem Briefkasten-Stand einwerfen, gegen den auch die längste Grillzange nichts ausrichten kann.
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