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Hel­d*in­nen sollten für alle da sein

Mit „Courageux! Furchtlos!“ haben Amina Eisner und Atif Mohammed Nor Hussein ein Stück über HeldInnentum, Fantasie und die Suche nach Vorbildern geschrieben. Heute ist die Uraufführung im Ballhaus Naunynstraße

Von Katharina Granzin

„Als Kind war ich Mega-Fan von ‚Xena‘, der Kriegerprinzessin“, erzählt Amina Eisner, Schauspielerin und Regisseurin. „Das war eine große, weiße Frau, die hat immer gekämpft, das fand ich richtig cool. Und dann habe ich viele Jahre später bei der Recherche für ein Theaterstück herausgefunden, dass tatsächlich Amina, meine eigene Namensgeberin, die eine berühmte Königin im Haussa-Land war, irgendwann um 1500 herum, die eigentliche Inspiration für die Xena-Geschichte war. Dass diese Xena also eigentlich hätte Schwarz sein sollen.“

Die Geschichte der afrikanischen Königin war aber für den weißen Mainstream angepasst und die Abenteuer der Kriegerprinzessin für die amerikanische Fantasy-Fernsehserie kurzerhand in die griechische Antike verpflanzt worden. Erkenntnisse wie diese und ein wachsendes Bewusstsein für die mangelnde Wahrnehmung Schwarzer Geschichte und Geschichten auch in der Kulturszene führten dazu, dass Amina Eisner, Jahrgang 1990, sich schon als junge Schauspielerin in der Vereinigung Bühnenwatch engagierte, die immer wieder von sich reden macht, wenn es darum geht, Rassismus in der Theaterwelt zu thematisieren.

Ebenso wie Amina Eisner ist Atif Mohammed Nor Hussein bei Bühnenwatch aktiv und vertritt die Anliegen des Vereins auch häufig bei Podiumsdiskussionen. Der Regisseur ist ein genauer und kritischer Beobachter der in puncto Rassismus immer noch manchmal recht unreflektierten Theaterszene. Beide haben schon einige Projekte am Ballhaus Naunynstraße realisiert. Außerdem gehört Hussein zu den Künstler*innen, die wider den weißen Mainstream ein Feld etablieren, auf dem dezidiert Schwarze Positionen verhandelt werden. „Wir brauchen neue Held*innen“, sagt er und umreißt damit den Grundgedanken seines neuen Stücks „Courageux!“, das er gemeinsam mit Amina Eisner geschrieben hat und mit dem das Ballhaus Naunynstraße am 2. 9. die neue Spielzeit eröffnet.

Die Idee für diese Produktion habe er schon lange in sich getragen, erzählt Hussein beim Vorabgespräch in der Theaterbar im Keller der Kreuzberger Naunynstraße 27. „Schon seit ein paar Jahren, nämlich seit zunehmend ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist, dass einer der berühmtesten französischen Schriftsteller, Alexandre Dumas, Schwarz war.“

Dumas der Ältere, der – neben zahllosen anderen Werken – mit „Der Graf von Monte Christo“ und „Die drei Musketiere“ zwei All-time Favourites geschaffen hat, war der Enkel eines weißen, adligen Plantagenbesitzers auf Haiti und einer Schwarzen Frau, die er als Versklavte gekauft hatte. Thomas-Alexandre Dumas, der jüngste Sohn der beiden, der später der Vater des nachmalig berühmten Autors werden sollte, kam gemeinsam mit seinem Vater als Teenager nach Frankreich, das damals, man schrieb das Jahr 1776, ganz im Zeichen der Ideale der Aufklärung stand. Mit Betreten französischen Bodens war Thomas-Alexandre ein freier Mensch und ganz selbstverständlich Teil der französischen Adelsgesellschaft. Ihm wurde eine ausgezeichnete Erziehung zuteil, und als Erwachsener trat er in die französische Armee ein, in der er schnell Karriere machte und als General schließlich fast legendär wurde. Als Napoleon an die Macht kam, wendete sich jedoch das politische Blatt, und Thomas-­Alexandre fiel in Ungnade.

Für das schriftstellerische Schaffen von Alexandre Dumas dem Älteren scheint das Leben seines Vaters, der starb, als der Sohn erst vier Jahre alt war, eine unerschöpfliche Inspirationsquelle gewesen zu sein. Sowohl „Die drei Musketiere“ als auch „Der Graf von Monte Christo“ gehen (neben anderen Werken) auf Ereignisse in seinem Leben zurück.

Vor acht Jahren erschien in deutscher Übersetzung ein Buch des US-amerikanischen Historikers Tom Reiss über Thomas-Alexandre Dumas, das für sie beide, sagen Atif Hussein und Amina Eisner, ein Augenöffner gewesen sei. Inwieweit und in welcher Form diese und andere Lektüre(n) in ihr Stück mit eingeflossen sind, möchte das Autor*innen-Duo allerdings vor der Premiere nicht allzu genau verraten.

Das Setting lässt viel Raum für Fantastik, Assoziationen und Traumsequenzen

Um Lektüre jedenfalls geht es im Hintergrund immer mit, denn die Rahmenhandlung spielt in einer Bibliothek, in der ein kleiner Junge lesend seine Hel­d*in­nen entdeckt – ein Setting, das sehr viel Raum lässt für Fantastik, freie Assoziationen und Traumsequenzen. Vier Dar­stel­le­r*in­nen – eine davon Amina Eisner selbst – bestreiten den Abend und nehmen dabei immer wieder neue Rollen ein.

Und wie schreibt man nun eigentlich ein Theaterstück zu zweit? Es klingt ganz einfach. Sie hätten sich einen Monat lang jeden Wochentag getroffen, miteinander geredet und geschrieben, erklärt Amina Eisner, und Atif Hussein sagt: „Und natürlich haben wir zu Hause weiter geschrieben, haben uns das am nächsten Tag gegenseitig vorgelesen und gemeinsam daran gearbeitet. Die ganze Zeit über haben wir außerdem sehr viel recherchiert. Es geht ja vor allem auch darum, inwieweit dieses Thema schon künstlerisch verarbeitet wurde, was für popkulturelle Verwertungen es zum Beispiel gibt. Das beziehen wir nicht nur auf Schwarze Geschichte, sondern auf Heldinnen- und Heldengeschichten überhaupt. Das geht bis in den Comicbereich, betrifft zum Beispiel auch das Marvel-Universum.“

Und Amina Eisner ergänzt: „Held*innen sollten für uns alle da sein. Aber dann werden wir wieder darauf zurückgeworfen, dass du nicht sein kannst, was du nicht siehst. You cannot be what you cannot see. Wenn du nie siehst, dass jemand, der aussieht wie du, zum Beispiel als gefeierter Retter in der Not auftritt, dann denkst du einfach nicht: ‚Wenn der das kann, kann ich das auch.‘ Wenn man, in meiner Position etwa, als Schwarze Frau im Fernsehen immer nur die Krankenschwester ist oder die Putzfrau oder vielleicht mal die beste Freundin, die einen guten Tipp gibt, dann sieht man sich selbst auch nicht in der anderen Rolle.“ Eine Serie wie „Bridgerton“ zum Beispiel mit ihrem colourblind casting, finden beide, kann viel bewirken, um solche Klischees irgendwann gänzlich zu beseitigen. Mit ihrem eigenen Stück gehen sie erzählerisch zwar einen anderen Weg, aber definitiv in dieselbe Richtung.

Premiere im Ballhaus Naunystraße 2. September, 20 Uhr, weitere Vorstellungen 3.–6. September

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