Der Tod macht nicht mehr mit
Das Kollektiv „operationderkuenste“ bringt in „einer Art Oper“ Musik vergessener jüdischer Komponisten zur Aufführung
Von Robert Mießner
Es klingt, als würde es regnen, aber es ist das filigrane Musikentree, mit dem das junge Musiktheaterkollektiv „operationderkuenste“ die Premiere seiner Produktion „Wann wohl das Leid ein Ende hat?“ mit der Musik jüdischer Komponisten einleitet. Freitagnachmittag in einem Wilmersdorfer Parkdeck: Inmitten von Beton berichtet ein Ausrufer von „einer Welt, die verlernt hat, am Leben sich zu freuen und des Todes zu sterben“. Ein Harlekin im Reifrock tritt auf und berichtet, dass ihm das Lachen abhandengekommen ist: „Über mich lacht keiner … Wenn ich vergessen könnt, wie junger Wein schmeckt, wenn ich wieder vor der fremden Berührung der Frau erschauern könnte!“ Dem Tod geht es nicht besser, er steht in einem Hochbeet, auf dem keine Pflanze wächst, er antwortet dem Harlekin: „Es lächert mich, wenn ich dir zuhöre. Du bist kaum dreihundert Jahre alt, und ich mache dieses Theater mit, seit die Welt steht! Jetzt bin ich alt und kann nicht mehr mit.“
Tod und Harlekin, sie sind Protagonisten der Kammeroper „Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung“ die der österreichische Komponist Viktor Ullmann in den Jahren 1943 und 1944 geschrieben hat, für das Libretto arbeitete Ullmann mit dem Künstler Peter Kien zusammen. In dem „Spiel in einem Akt“, so seine Originalbezeichnung, verkündet des Kaisers Sprachrohr, der Trommler, den „großen, segensreichen Krieg aller gegen alle“. Nur, der Tod macht nicht mit, und der Kaiser wird mehr als seinen Plan verlieren. Dann sind da Bubikopf und Soldat, zwei Figuren, die durch ihre Liebe wehruntauglich werden.
Entstanden ist das „Spiel in einem Akt“, so seine Originalbezeichnung, im Getto Theresienstadt. Der Name ist in die Geschichte als Ort eines fürchterlichen Zynismus eingegangen: Theresienstadt wurde von den Nazis als Vorzeigelager geführt, Stichwort „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“. Für Ullmann und Kien war Theresienstadt das Durchgangslager nach Auschwitz.
Sie haben nicht überlebt, wie auch die Wiener Schriftstellerin Ilse Weber, die in Theresienstadt in der Kinderkrankenstube gearbeitet hatte und sich freiwillig dem Transport nach Auschwitz angeschlossen hatte.
Aus dem „Atlantis“-Stoff, mehreren Liedern Webers – der Titel „Wann wohl das Leid ein Ende hat?“ ist ihr entlehnt – und Stücken der Komponistinnen Henriëtte Bosmans und Maria Herz hat „operationderkuenste“ „eine Art Oper“ collagiert. Die von einem 18-köpfigen Orchester gespielte Musik ist elegisch und getragen, dabei hat sie Präsenz. Es gibt Momente, da das Orchester seine Rolle sprengt, in einem davon lösen sich einzelne Musiker aus dem Verbund und bilden eine Insel auf dem Beton. Überhaupt ist es eine seltsame, aber spannende Situation: Es kommt vor, dass während der Aufführung ein Auto oder ein Fahrrad durch das Parkdeck rollen. Das Stück ist so Teil eines nachmittäglichen Alltags und stört ihn wiederum. Das ist ein Kompliment.
Der Aufführung gelingen Bilder, die bleiben werden: An einer Stelle vollführt der Harlekin vor dem stummen Kaiser einen Abwehrtanz. Es scheint nur, als würde die Gestik und Mimik des Narren am Herrscher abprallen. Es gibt einen kostümbildnerischen Kniff: Soldat und Bubikopf tragen am Oberkörper neonfarbene Koffergurte, zum Ende hin legen sie das Geschirr ab. Das Bild spricht für sich, das Farbspektrum findet sich wieder auf Harlekins Rock und dem Umhang des Todes. Der tritt in einem Moment als Dirigent vor das Orchester. Die Aufführung schließt mit einem der Lieder, die Ilse Weber den Kindern von Theresienstadt gesungen hat: „Es stört kein Laut die süße Ruh,/ schlaf, mein Kindchen, schlaf auch du./ Wiegala, wiegala, wille,/ wie ist die Welt so stille.“ Tatsächlich ist die Pause vor dem Schlussapplaus so reglos, dass darin eine Kraft liegt.