: Eine still tickende Bombe
Erstmals befasst sich eine internationale Konferenz in Kiel mit Alt-Munition in den Weltmeeren. Dass das Zeug raus muss, ist klar. Unklar ist aber, wer das bezahlen soll
Von Esther Geißlinger
In allen Meeren liegt Alt-Munition – allein im deutschen Teil von Nord- und Ostsee sind es 1,6 Millionen Tonnen. Erstmals beraten in Kiel Fachleute aus aller Welt, wie diese Überreste von Kriegen und Übungen geborgen werden können. Denn die rostenden Minen setzen gefährliche Stoffe frei, Ozeanforscher*innen fordern daher zügig Lösungen. Ideen gibt es, nur wer zahlt, ist unklar.
Ein schwarzes, etwas zerbeultes Metall-Ei, etwa einen Meter hoch und breit wie ein Bierfass, steht bei der Pressekonferenz in Kiel mitten im Raum. Diese alte Seemine benutzt Schleswig-Holsteins Umweltminister Jan-Philipp Albrecht (Grüne), um seinen Amtskolleg*innen zu zeigen, worum es bei der Debatte geht. „Das macht immer Eindruck, wenn wir damit in Berlin aus dem Auto steigen“, sagt Albrecht.
Das Thema „Alt-Munition“ hat – Achtung, Wortspiel – in den vergangenen Jahren an Sprengkraft gewonnen. Tatsächlich tickt eine lautlose Bombe: „Die Umwelteinflüsse sind messbar, wir finden Spuren von TNT in der gesamten Ostsee“, berichtet Professor Jens Greinert vom Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. „Und das Handhaben der Objekte wird immer fragiler. Das Zeug ist rottenalt.“ Seine dringende Mahnung: „Fangt lieber jetzt an, als noch zu warten.“ Denn wenn in Zukunft durch den Klimawandel Stürme zunehmen, sei auch der Meeresgrund betroffen. Je weiter die Korrosion der Munition voranschreite, desto schwieriger und teurer werde die Bergung.
Inzwischen ist das Problem weltweit auf den Radarschirmen. Wie groß das Interesse ist, zeigt sich auch bei der Konferenz in Kiel, an der rund 200 Fachleute aus 31 Nationen vor Ort teilnehmen, weitere 450 schalteten sich über Digitalkanäle dazu, so Jann Wendt, Initiator der Veranstaltung und Gründer des internationalen Munitionskatasters „AmuCad“. „Wir haben alle, die sich mit Thema befassen, zusammengeholt.“ Vor allem betroffen seien neben Nord- und Ostseeanrainern die Staaten am Mittelmeer und Japan. Die USA haben ein Munitionsproblem aufgrund zahlreicher Tests vor der eigenen Küste.
In der knapp einwöchigen Konferenz sollen Erkenntnisse ausgetauscht und Zuständigkeitsfragen angegangen werden. Für die Bergung des Kriegsmülls nannte Wendt das Jahr 2100 als Zielmarke: „Das ist unsere Vision.“ Doch „das Thema, auf das alles hinausläuft“, ist die Finanzierung.
100 Millionen Euro – diese Summe brachte Minister Albrecht ins Spiel. Das Geld solle von Bund und Ländern gemeinsam aufgebracht werden, wer genau was leiste, sei „Teil der Debatte“. Immerhin hätten sowohl Umweltministerkonferenz als auch Bundestag die Notwendigkeit grundsätzlich anerkannt.
Das EU-Parlament hat im April fast einstimmig eine Petition zum Thema verabschiedet. Albrecht betonte, dass Schleswig-Holstein – als Anrainer von Nord- wie Ostsee besonders betroffen – bereits mehrere Projekte und Forschungen mitfinanziert habe: „ Neun von zehn Schritten haben wir gemacht, auf die letzte Stufe muss uns jemand hochhelfen.“ Er warnte vor „Verantwortungsschieberei“, die bei dem ernsten Thema fehl am Platz sei.
Jens Greinert, Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung
Mit dem Geld könnte ein Prototyp einer Demontage-Plattform entstehen, ein entsprechender Plan liegt bei der in Kiel ansässigen Thyssen-Krupp-Tochterfirma Marine Systems (TKMS) in der Schublade, die Plattform könnte in eineinhalb bis zwei Jahren fertig sein, sagte Unternehmenssprecher Eugen Witte: „Wir sind bereit, wir stellen das für 83 Millionen Euro hin.“ Rund um die technische Lösung verspricht TKMS ein Konzept, das vom Auffinden der Munition über die Bergung bis zur fachgerechten Entsorgung reicht.
Denn Sprengungen unter Wasser oder Unfälle beim Heraufholen der Rost-Minen würden weitere Schadstoffe freisetzen, warnt Greinert. Er wie auch Albrecht gehen von einer mehrjährigen Erprobungsphase aus. Bewährt sich die „Delaborationsplattform“, könnte sie in Serie gehen und in alle Welt verkauft werden. „Wir in Norddeutschland sind weltweit führend, das könnten wir nutzen“, hofft Initiator Jann Wendt.
Wie viel Geld die Weltgemeinschaft aufbringen müsste, um das Problem global zu lösen, sei unklar, so Albrecht: „Die einen sagen 1,6 Milliarden, die anderen eher 160 Milliarden.“
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