: Im modernen Gartenhaus
Im Verein ist Kunst am schönsten (7): Zu Recht zählen die Kunstvereine seit 2021 zum immateriellen Weltkulturerbe. Ihre Erkundungs- und Vermittlungsarbeit macht Gegenwartskunst für jeden erfahrbar – noch bevor sie im Museum einstaubt. Und jeder hat seine ganz eigene Geschichte: Die taz erkundet ihren Beitrag zum norddeutschen Kulturleben in Porträts. Diesmal: Lübeck
Von Hajo Schiff
Es riecht herbstlich. Das ganze Gebäude: ein langsam welkender Pappelhain. Auch ist der Zugang nicht einfach. Nicht nur dass zur aktuellen Ausstellung von Stefan Vogel gehört, dass das Publikum sich durch die Äste der erwähnten Pappeln seinen Weg bahnen muss. Schon der Lübecker Kunstverein selbst ist als Gartenhaus nur über die Diele des Museums für Kunst und Kulturgeschichte Behnhaus-Drägerhaus zugänglich. Acht Jahre lang hatte der – der Bauhaus-Moderne nahestehende – Lübecker Architekt Wilhelm Bräck (1875–1968) den Pavillon geplant. 1930 wurde er eingeweiht, der umgebende Garten passend zur Strenge des kleinen Architekturjuwels gleich noch geometrisch gestaltet und die goldene Statue der Daphne von Renée Sintenis darin aufgestellt.
Verwandelt sich da gerade mal eine Nymphe auf der Flucht in einen Baum, haben nun, rund 90 Jahre später, die Bäume alle drei Räume des Hauses übernommen und konkurrieren mit den scheinbar langsam verfallenden Vitrinen mit ihren Assemblagen aus minderen Materialien. In der aus einst utopischem Geist entworfenen Architektur nistet eine postkatastrophale Inszenierung von morbider Schönheit.
Lange Tradition
In Lübeck gab es schon ab 1872 einen Verein von Kunstfreunden, der mit verschiedenen Zielsetzungen bis 1931 bestand. Die bis heute aktive „Overbeck-Gesellschaft. Kunstverein Lübeck“ wurde aber erst in den Umwälzungen nach dem Ersten Weltkrieg gegründet. Die Initiative ging im März 1918 von dem Museumsdirektor Karl Schaefer aus. Der stand in Diensten der „Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit“, einer schon 1789 in der reichen Hansestadt im Geiste der Aufklärung gegründeten wohltätigen Bürgergesellschaft, die dann auch Trägerin der Lübecker Museen war und heute noch 20 Einrichtungen, 41 Stiftungen und 40 Tochterorganisationen fördert, darunter eben auch die Overbeck-Gesellschaft. Deren Namensgeber ist der ebenfalls 1789 in Lübeck geborene Johann Friedrich Overbeck, ein romantischer Maler und bedeutendes Mitglied der Künstlergruppe der Nazarener – er starb 1869 im von diesen überaus verehrten Rom.
Konzept Vielfalt
Die Leitung des Kunstvereins lag immer in den Händen des jeweiligen Museumsdirektors, bis sie 1967 verselbstständigt wurde. Seit 2015 führt der promovierte Kunsthistoriker Oliver Zybok die Overbeck-Gesellschaft, vorher Museumskurator und Ausstellungsmacher in Litauen und Prag, in Leverkusen, Köln und Düsseldorf. Sein Konzept: Vielfalt. Trotz seiner auch professoralen Lehrtätigkeit in Helsinki und Braunschweig sieht er die häufige Festlegung der Kunstvereine auf konzeptuelle junge Kunst kritisch. Gerade in einer kleineren Stadt sollte der Fokus nicht nur auf einer Spielart heutiger Kunstpraxis liegen, sondern etwa auch Malerei oder Tattoos gezeigt werden.
Und statt irgendwie mehr Publikum ins Haus zu locken, sollten die Vereine seiner Meinung nach – vielleicht sogar wie in früheren Zeiten – in die Stadt hinausgehen, Orte und Gruppierungen in offene Projekte einbinden. Kooperationen bringen mehr Möglichkeiten, mehr finanzielle Mittel und vor allem mehr Interesse. Regelmäßig wird das nun in Lübeck schon mit der Kunstkirche St. Petri praktiziert; bis zum vergangenen Wochenende hat auch Stefan Vogel dort eine große Arbeit gezeigt: eine übergroße Hängevorrichtung mit erstarrter Wäsche und Texten unter Gips, ein Verweis auf physische Verkrustungen des Objekts am Ort spiritueller Reinigung.
Auch dass die andere große, ganz dem Lübecker Gemeinwohl verpflichtete Stiftung, die Possehl-Stiftung, 2019 erstmals einen alle drei Jahre zu verleihenden internationalen Kunstpreis ausgelobt hat, mag mit zurückgehen auf Zyboks über den Kunstverein hinausgreifende Aktivitäten. Im selben Jahr gelang der bisher größte Erfolg einer gesamtstädtischen Kunstkooperation: Unter dem sperrigen Titel „Dr. Zuhause: K.U.N.S.T. (Erzliebe) Vater/Liebe“ gaben Overbeck-Gesellschaft, die Kunsthalle St. Annen, das Günter-Grass-Haus, die Petrikirche und die Kunstwerft Gollan dem selbsternannten Erzkünstler Jonathan Meese freie Hand, Lübeck in Beschlag zu nehmen. An den fünf Spielorten wurden mehr als 35.000 teils durchaus kritische Besucherinnen und Besucher gezählt. Für 2023 hat Zybok etwas Ähnliches in Planung, mit einem anderen international bekannten Künstler.
Die akademische Kunstgeschichte ist bei alldem nicht vergessen: Die Overbeck-Gesellschaft hat für diesen Winter in Kooperation mit dem Warburg-Haus und dem Kunsthistorischen Seminar der Universität Hamburg eine Vortragsreihe über den Kunsthistoriker Carl Georg Heise initiiert, der von 1920 bis 1933 die Lübecker Museen leitete, danach von 1945 bis 1955 die Hamburger Kunsthalle.
Kritische Beuys-Schüler
Erst einmal aber wird es ab Oktober um die Düsseldorfer Gruppe YIUP gehen: Die Künstler Peter Angermann, Robert Hartmann, Hans Heininger, Hans Henin und Hans Rogalla waren zwar Studenten bei Joseph Beuys, bezogen aber ab 1969 eine eher kritische Haltung zu dem damals schon fast kultisch Verehrten. Als etwas schräger Beitrag zum Beuys-Jubiläumsjahr wird mit Malereien, Siebdrucken, skulpturalen Objekten, Fotografien und Texten erstmals das Wirken der Gruppe dokumentiert, die einst an der Akademie mit seltsamen Aktionen den Beuysschen „erweiterten Kunstbegriff“ ironisierte – und dem Meister bei laufenden TV-Aufnahmen gar den berühmten Hut klaute.
Stefan Vogel – „Draußen wird es leiser“: bis 12. 9., Overbeck-Gesellschaft. Kunstverein Lübeck, Königstraße 11, Behnhausgarten. Ab Oktober: „Die Welt muss schöner werden – Die Künstlergruppe Yiup“.
https://overbeck-gesellschaft.de/
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